Zuerst die gute Nachricht: Seit rund siebzig Jahren weilt unter uns ein Mann, der Mittel und Wege kennt, bevorstehende Katastrophen weltweiten Ausmaßes zu
verhindern, jegliche Krankheiten "zu fast hundert Prozent" zu heilen und allen Mitmenschen über 14 Jahren in wenigen Stunden beizubringen, wie das geht. Und nun die schlechte Nachricht: Die Justiz ist hinter ihm her. So wurde er am 15. Januar 1999 in Belgien verhaftet, unter dem Vorwurf des Betrugs und illegaler medizinischer Tätigkeit, und erst nach 65 Tagen Haft gegen Kaution wieder auf freien Fuß gesetzt.
Die Rede ist von Luong Minh Dang, dem Gründer einer inzwischen
weltweit tätigen Bewegung, die Fernheiler bereits zu Zehntausenden hervorgebracht hat. 1942 in Vietnam geboren, wanderte er 1985 mit seiner Familie in die Vereinigten Staaten aus, wo er vier Jahre später als Begründer des "Spiritual Human Yoga" (S.H.Y.) in Erscheinung zu treten begann. In sein umfassendes spirituelles Wissen will er von einem Meister eingeweiht worden sein, dem es seinerseits von einem Meister aus Sri Lanka namens Dasira Narada anvertraut worden sei. Seit ihn die
"International Open University", eine berüchtigte Titelschleuder in Sri Lankas Hauptstadt Colombo, 1994 mit zweifachen Doktorwürden ausstattete, prangt ein "PhD, Dr.sc." auf seiner Visitenkarte, neuerdings sogar ein vorangestelltes "Prof. Dr. Sir Master". Straff koordiniert vom Hauptquartier in St. Louis, an dem das zuckersüße Etikett Mankind Enlightenment Love klebt, sollen inzwischen über eine Millionen Menschen aus über 70 Ländern in Techniken der
sogenannten Human Universal Energy (HUE) ausgebildet worden sein, davon über 10'000 "hochwertige" Fernheiler (high-level healers). In 15 Staaten Europas sind bereits "Zentren" mit nationalen "Repräsentanten" eingerichtet worden - für Deutschland in Krefeld, für die Schweiz in Reussbühl, für Österreich in Hagenberg -, die ihrerseits zahlreiche "Subzentren" an kurzer Leine führen. Deutsche "Subzentren" bestanden bis Frühjahr
2002 bereits in Berlin, Bielefeld, Elmshorn, im niederbayrischen Gunzenhausen, Herzogenaurach, Ingolstadt, Königstein im Taunus, Leipzig, München, Nürnberg, Lehnitz in Brandenburg sowie in Wiesbaden.
Wie die meisten Esoterik-Importe aus Fernost, so steht auch im Mittelpunkt von Meister Dangs Lehre eine "universelle Lebensenergie"; sie gehört zu einem kosmischen Schwingungsfeld, in das der Mensch mit seinem physischen und mehreren feinstofflichen Körpern eingebettet ist. Über
sieben "Fenster", die Chakren, wird diese Lebensenergie absorbiert und im Körper verteilt. Wir erkranken, wenn die Energie in uns nicht mehr frei fließen kann, was hauptsächlich auf Funktionsstörungen der Chakras zurückgeführt wird. Die Technik des "Spiritual Human Yoga" hat zum Ziel, die Chakren wieder für die "universelle Lebensenergie" zu "öffnen".
Die Parallelen zu Reiki, Qi Gong, Universal Tao und anderen Ki-Heiltraditionen sind so offenkundig und plagiatsverdächtig, dass sich Meister Dang genötigt sieht, sich vehement von ihnen allen abzugrenzen. Reiki sei in vielerlei Hinsicht "beschränkter", da Heilsitzungen dort eine halbe bis zwei Stunden dauern würden, wohingegen bei Dang-Schülern "die maximal erlaubte Heilungsdauer fünf Minuten beträgt" - "auf höheren Ebenen sogar nur eine Minute". Außerdem käme sein Ansatz ohne Symbole aus. Und während Qi Gong "einer Handvoll Meistern vorbehalten" bleibe, weil es mehrerer Jahre harten Trainings bedürfe, es zu beherrschen, gehe es bei Meister Dang viel schneller.
Zu erlernen, wie das geht, ist zumindest bei Meister Dang ein Kinderspiel. Zu seinen Trainings anmelden darf sich jeder, der mindestens 14 Jahre alt ist; Kinder von bereits "Eingeweihten" werden sogar schon ab 12 Jahren zu Heilern gemacht. Der Ausbildungsweg führt sechs Stufen (levels)
empor, vereinzelt noch in Zwischenstufen unterteilt; keine Stufe darf übersprungen werden, jede untere ist Voraussetzung für die nächsthöhere, und auf jeder winkt ein "Zertifikat". Was erwartet Sie, falls Sie sich dafür einschreiben?
- Auf den Stufen 1 und 2 erlernen Sie eine "einzigartige", dem indischen Yoga entlehnte Fünf-Minuten-Meditation, die "Ihren Körper und Ihre Seele auf eine höhere Bewusstseinsebene hebt und befähigt, die universelle Energie
effizienter zu nutzen"". In "Initiationen" werden Ihre "Chakren geöffnet" - auf Stufe 1 "zu 30 Prozent", auf Stufe 2 "zu 60 Prozent". Um beide Stufen zu erklimmen, genügt jeweils eine einstündige "Session".
- Auf Stufe 3 wird die Chakrenöffnung "hundertprozentig". Hier angekommen, "können Sie mit der Methode des Handauflegens täglich eine unbegrenzte Anzahl von Menschen behandeln. Es ist Ihnen gestattet,
sämtliche Krankheiten zu behandeln, einschließlich Zigaretten- und Drogensüchte, Geisteskrankheiten, unbekannte Viren, Blutkrebs und HIV/Aids. Auch ist es Dir erlaubt, eine begrenzte Zahl von Familienangehörigen auf die Stufen 1 und 2 zu führen." Diese dritte Initiation, die unmittelbar an die zweite anschließen soll, erfolgt in einer vierstündigen Session.
- Auf Stufe 4 werden Sie in "ein bis zwei Stunden" zum Fernheiler. Denn das "Chakra 6 Energiezentrum",
das Sie dazu benötigen, wird nun "geöffnet".
Ab jetzt betritt der Meister persönlich die Szene. Alle nun folgenden Initiationen werden von ihm höchstselbst vorgenommen.
- Auf Stufe 5 werden Sie fähig, "Massenheilungen" auf Distanz vorzunehmen, und beginnen "spirituelles Verständnis" zu entwickeln. Dazu gehört, die "universelle Energie" nicht nur zu Heilzwecken einzusetzen, sondern auch "in der Landwirtschaft, in der Umwelt, bei
Katastrophen etc.". Der entsprechende Kurs dauert drei bis fünf ganze Tage.
- Auf Stufe 6 werden Sie in einem fünftägigen Kurs zum "High Level Master" - einem wahren Meister in Lehre, Humantherapie, "Heilung des Planeten" und spirituellem Katastrophenschutz. Zudem werden Sie in die Geheimnisse der "Pyramiden-Energie" eingeweiht.
- Auf Stufe 7 schließlich lernen Sie, den weltumspannenden Projekten von Master Dang mittels einer mysteriösen
"Doppelpyramide" dienlich zu sein, wobei sie einen Beitrag zu "vielfältigen futuristischen Experimenten" der Konzernzentrale leisten. Ein "Level 7 Special"-Kurs verspricht Ihnen darüber hinaus, noch weitere "latente Fähigkeiten" freizulegen.
Einmal gebucht, produziert Dangs Ausbildung einen fertigen, jede Distanz mühelos überbrückenden Geistheiler nicht nur blitzschnell, sondern garantiert: "Wir haben nahezu 100prozentigen
Trainingserfolg", so brüstet sich SHY im Internet; "auch wenn wir das aus juristischen Gründen nicht versprechen dürfen". Überzeugt hat Master Dang damit zumindest schon die Krankenschwesternvereinigung des US-Bundesstaats Missouri: Sie bezieht HUE-Trainings neuerdings offiziell in ihr Ausbildungsprogramm ein.
Zu den deutschen Heilern, denen Dangs Ansatz imponiert, zählen immerhin so honorige Leute wie der Diplom-Kaufmann Rainer G. aus Nürnberg, der im Ruhestand ein
vorbildliches Projekt namens "EFI" aufbaute ("Erfahrungswissen für Initiativen"): EFI bildet sinnsuchende Rentner zu "SeniorTrainern" aus, die ihre Erfahrungen ehrenamtlich an neue Projekte und Initiativen weitergeben. Auch seine Frau, praktizierende Katholikin und ehemalige Krankenschwester, ist mit von der Dang-Partie. Nachdem ihr zweitältester Sohn sie mit einem Heilpraktiker und Dang-Lehrer bekannt gemacht hatte, mit dem er Handball spielte, meldete sich das
Ehepaar 1996 zum ersten SHY-Kurs an, hat inzwischen acht absolviert - und ist nach wie vor beeindruckt davon. Geistige Fernwirkungen dieser Heilweise stehen für die G.s außer Frage: Seine Frau, so berichtete mir Rainer G., habe "von einigen entfernten Krebspatienten mehrfach das Feedback bekommen, dass es ihnen erheblich besser ging", nachdem ihnen Universalenergie zugeführt wurde. "Wir sind auch überzeugt davon, dass unsere regelmäßige Energieübertragung meine Schwägerin, die
nach überstandenem Krebs Infektionen in der Lunge bekommen hat, immer wieder stabilisieren konnte." Ihre Fähigkeiten bringt das Ehepaar neuerdings in das "Segnungsteam" einer örtlichen Kirchengemeinde ein.
Was kostet es, die Dienste von "Universal Energy"-Heilern in Anspruch zu nehmen? Verblüffenderweise nichts. Wer Hilfe braucht, bei welchem vermeintlich unheilbaren Leiden auch immer, registriert sich einfach auf den Internetseiten der SHY-Organisation. Dann
beginnt "innerhalb von 48 Stunden" eine Fernbehandlung, einmal täglich drei Monate lang ("bei Krebs zweimal pro Tag"), durchgeführt von ungenannten Mitgliedern eines "Ministry of Universal Energy Healers" in Colle Park, MD9, die vermutlich allesamt zumindest Stufe 5 erreicht haben. Nach Ablauf dieses Vierteljahrs wird angenommen, der Hilfesuchende sei geheilt; verlangt er keine weitere Behandlung, wird sein Name von der Liste gelöscht.
Wenn Dangs SHY
gratis hilft - woher kommen dann die immensen Summen, über die dieser Heilkonzern allem Anschein nach verfügt? (Allein für ihren "Weltkongress" im Januar 1999 investierte sie, wie Dang in einem internen Rundbrief offenlegte, 300'000 Schweizer Franken, um die stattliche Palexpo-Halle mit 7000 Plätzen, 17 Übersetzungskabinen und modernster Lautsprecheranlage anzumieten.)
Die Eigenfinanzierung ist ausgesprochen trickreich und zeugt von sprichwörtlichem ostasiatischen
Geschäftssinn. Allen Hilfesuchenden, die sich wegen chronischer Krankheiten an SHY wenden - und dies dürften deutlich über neunzig Prozent sein -, wird ein Kurs empfohlen, um die Technik selbst zu erlernen. Und diese Kurse gibt es nicht umsonst. "Basisseminare", die zu den Stufen 1 und 2 führen, werden derzeit im Internet für 230 Euro angeboten. Vereinzelt geben sich Ausbilder allerdings schon mit 235 Euro für alle vier ersten Stufen zufrieden. Und wer will hier schon stehenbleiben?
Kurse der Stufe 5 kosteten im Jahr 2000 rund 1300 US-Dollar, sollen neuerdings aber auch schon für 450 Euro zu buchen sein.14 Ausgehend von einer Zahl von über einer Million Praktizierenden weltweit, die SHY selbst nennt, genügen die Grundrechenarten, um auf die ungefähren Bruttoeinnahmen des SHY-Imperiums zu schließen. Dangs Schüler dürfen mitverdienen: Immerhin erwerben sie schon auf Stufe 3, nach gerade mal sechs (!) eigenen Unterrichtsstunden, eine beurkundete Ausbildungsbefugnis, mit der
sie ihrerseits an Kursgebühren verdienen können - ein hanebüchenes Duplikat der Reiki-Masche, deren "schneeballartigen Verbreitungseffekt" kirchliche Sekteninformationsstellen seit längerem anprangern.
Schwerkranken werden finanzielle Interna einerlei sein, sofern ihnen nur geholfen wird. Die Aussichten darauf sind phänomenal - zumindest nach den offiziellen Verlautbarungen aus dem SHY-Hauptquartier. Als heilbar bezeichnet es unter anderem: Bluthochdruck, Diabetes, Asthma,
Koma, Aids, Krebs, Schlaganfall, Lähmungen, Geisteskrankheit, ja sogar Homosexualität, was darauf schließen lässt, dass Chakren am anderen Ufer von vornherein schlechter funktionieren als diesseits. Zum "Beweis" verweisen Dangs rührige PR-Arbeiter auf umfangreiche "wissenschaftliche" Studien, ohne irgendwelche Quellen oder auch nur die Namen der beteiligten Wissenschaftler zu nennen. Überaus ausführlich präsentiert ihre Website "Forschung mit Krebszellen und
Geweben" aus "zahlreichen In-vitro-Studien", durchgeführt "im Januar 1996 in Frankreich von einer Gruppe von Forschern (Doktoren, Biologen, Biochemiker), die unter anderem auf Hautbiologie, Histologie und Zellkultur spezialisiert sind". Dabei seien die Fähigkeiten von Handauflegern und Fernheilern aus SHY-Kursen unwiderleglich bestätigt worden, heißt es da. Um herauszufinden, ob hier nicht nur Dangs Märchenstunde stattfand, wandte ich mich im Oktober 2003 an die
Zentrale in St. Louis, um mir jene "detaillierten Informationen über die oben genannten Studien" zu bestellen, die "interessierten Wissenschaftlern und Forschern" angeboten werden. Auf eine Antwort warte ich bis heute.
Die einzige Studie, die SHY im Wortlaut präsentiert, stammt von vier thailändischen Autoren; drei von ihnen stammen aus dem SHY-Zentrum Chiengmai im Norden Thailands, der vierte soll, ohne nähere Angabe der Funktion, an der Kasetsart-Universität von
Bangkok tätig sein - merkwürdigerweise in der Fakultät für Veterinärmedizin, während es in der Studie um 15 keineswegs vierbeinige HIV-Patienten ging. Zehn davon waren in den Stadien 1, 2 oder 3, fünf weitere im vierten, dem fortgeschrittensten Stadium. Dem Forschungsbericht zufolge, der offenbar nur auf der SHY-Homepage publiziert worden ist, wurden all diese Patienten drei Wochen lang von "Universellen Energieheilern" behandelt; ansonsten habe keinerlei medizinische Behandlung
stattgefunden, was zumindest in frühen Stadien überaus verwunderlich ist. Nach 21 Tagen Handauflegen sei zumindest bei den HIV-Kranken in den ersten drei Stadien die Zahl der DC4+ - T-Lymphozyten um das 1,4- bis Fünffache angestiegen. Ein HIV-1 RNA-Virentest, der bei zwei dieser Patienten vorgenommen worden sei - wieso nicht bei allen zehn? -, habe einen Virenrückgang um 34,5 bis 38,2 Prozent nachgewiesen. Zwar waren alle fünf Patienten spätestens ein Jahr nach der Behandlung tot - doch seien
sie "ohne Anzeichen von Schmerz und Leid" gestorben. Da keinerlei Verblindung stattfand und keine Kontrollgruppe gebildet wurde, belegt die Studie allenfalls, dass das Wissen darum, gewisse phänomenal fähige Heiler kümmerten sich um einen, zusammen mit der Überzeugung, das nütze selbst bei Aids, manchmal tatsächlich immunstärkend wirken kann. Schon gar nicht beweist es die unerreichte Fernheilungspotenz von Dang-Schülern.
Wie jede fernöstlich inspirierte Heilerschule,
die neuerdings im Westen Fuß fasst, so fasziniert auch Dangs "Spiritual Human Yoga" durchaus nicht nur esoterisch umnebelte Hauptschulabsolventen, sondern selbst Mediziner in zunehmender Zahl. Zu Dangs eifrigsten Propagandisten in Deutschland zählt Dr. med. Christel Neubert-Thoms, die nach zwanzig Jahren als Tierärztin jetzt in Lehnitz nahe Berlin als Heilpraktikerin arbeitet - und nebenbei SHY-Kurse anbietet. In der Berliner Charité, wo sie zeitweilig tätig war, kam auf ihre
Initiative im September 2003 sogar ein Symposium über Geistiges Heilen zustande. Von ihm soll der Anstoß zu einer Studie ausgegangen sein, bei der demnächst HUE-Heiler fernbehandelnd Operationen begleiten dürfen. Die Kürze der Kurse bereitet der Ärztin keinerlei Kopfzerbrechen: Heutzutage gehe das deshalb so schnell, weil bei den Teilnehmern "das Bewusstsein höher und das Energieniveau offener" sei.
Quellenangaben und weitere Literaturhinweise in Fernheilen, Band 1. |
