“Geistheiler sind keine Alternative zu Ärzten, aber als ihre Partner nützlich” - Experte Harald Wiesendanger über Heilungserfolge, die Rolle des Verstandes und GefahrenH. Wiesendanger im Interview mit 13.11.1994Von Ursi Schachenmann

“Wo immer das Thema Geistheilen Schlagzeilen macht, steht Harald Wiesendanger im Hintergrund dabei. Der deutsche Philosoph, Psychologe und Autor des Großen Buchs vom geistigen Heilen war Initiant von Fernheil-Experimenten via TV und ist Mitorganisator des “Weltkongresses für geistiges Heilen”. Die traf ihn an seinem Wohnort in Schönbrunn.” Wiesendanger: Ja und nein. Wir beobachten, daß unter dem Einfluß von Geistheilern Krankheiten verschwinden können, denen die Schulmedizin nicht beikommt. Insofern ist es merkwürdig, was da geschieht. Die Frage ist, was diesen Effekt bewirkt. Wiesendanger: Das kann man durch bloße Beobachtung von Heilungen sicher nicht entscheiden, dazu bräuchte es eine breitangelegte Forschung, und die gibt es bis heute nicht. Die Geistheiler meinen, hinter ihren Erfolgen steckten mysteriöse Energien, die sie im Griff haben. Solche Energien mögen mitspielen, aber ebenso gut kann es das Charisma des Heilers sein. Auch die Suggestion, die er einsetzt, oder der starke Glaube an seine heilerischen Fähigkeiten können eine Rolle spielen. Wiesendanger: Ja. Im Grunde sind Geistheiler intuitive Psychotherapeuten ohne Ausbildung. Das ist eine Rolle, in der sie sich selber nicht gern sehen. Die meisten geben vor, es gehe etwas mysteriöser zu, denn das ist gut fürs Geschäft. Was im therapeutischen Prozeß aber hauptsächlich wirkt, sind Liebe, Zuwendung und Geduld. Und vielleicht gelegentlich, aber nie allein wirken irgendwelche Energien mit, die diese Heiler kontrollieren. Wiesendanger: Da sind wir heute überfragt. Es ist denkbar, daß die Medizin des neuen Jahrtausends eine Erklärung dafür findet, wenn sie wegkommt vom jahrhundertealten mechanistischen Menschenbild, das den Patienten als biochemische Maschine sieht. Möglicherweise trägt der Mensch Energiesysteme in sich, die mit dem physischen Leib kausal zusammenhängen und die beeinflußt werden können. (...) Wiesendanger: Verstand blockiert vermutlich, beim Heiler wie beim Patienten. Die besten Heiler sind oftmals jene, die ihre Ratio ausschalten können und ganz auf die Intuition vertrauen. (...) Wiesendanger: Ich weiß aus eigener Erfahrung, daß das etwa jeder fünfte tut. (...) Aber im Bereich der Diagnose trägt der Heiler eine enorme Verantwortung. Er darf sie nur stellen, wenn der Patient die Möglichkeit hat, sie von Schulmedizinern überprüfen zu lassen, sonst richtet er verheerenden Schaden an. (Siehe dazu das Kapitel “Wie mit Röntgenaugen - Können Heiler außersinnlich Krankheiten erkennen” in Geistheiler - Der Ratgeber, sowie das Kap. “Psi-Diagnostik” in Das große Buch vom geistigen Heilen.) Wiesendanger: Das sind diejenigen, die Patienten vom Gang zum Arzt abhalten oder sie nötigen, eine Behandlung abzubrechen. Solche, die ihren Patienten furchterregende Diagnosen zu angeblich verborgenen Krankheitsherden stellen oder etwa hundertprozentige Heilung garantieren. Man muß also einen kühlen Kopf bewahren. Für jemanden, der leidet, ist das schwierig. Aber es bleibt ihm nichts anderes übrig, denn das Risiko, einem Scharlatan in die Hände zu gersten, ist sonst immens. (Siehe dazu ausführlich das Kapitel “Vorsicht, Scharlatan! Was einen empfehlenswerten Heiler auszeichnet” in Geistheiler - Der Ratgeber.) Wiesendanger: Für jemanden, der das Gefühl hat, die Schulmedizin könne nicht mehr genug für ihn tun, kann der Geistheiler eine Hoffnung sein. Ansonsten sind Geistheiler keine Alternative zu dem, was Ärzte anzubieten haben. Aber sie sollten akzeptierte Partner werden, weil sie etwas tun, was die Schulmedizin nicht kann. Die Patienten sollten allerdings berücksichtigen, daß es im komplementären Medizinsektor außer dem Geistheilen noch eine Fülle anderer vielversprechender Therapieverfahren gibt. Naturheilkundliche Ärzte etwa kennen eine ganze Palette von Maßnahmen, die helfen können in Fällen, wo die Schulmedizin versagt oder nichts mehr anzubieten hat, ohne daß dazu ein Geistheiler nötig wäre.”

SonntagsZeitung 13.11.1994

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