Geistiges Heilen: ein Risiko für das Wohlergehen von Patienten (8)
- Harald Wiesendanger
- 22. Sept.
- 8 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 17. Okt.
Ausführliche Auseinandersetzungen mit diesem und weiteren Argumenten in Geistiges Heilen - Das Große Buch, Geistheiler - Der Ratgeber, Heilen “Heiler”? und Fernheilen, Band 2.
Gut kontrollierte Experimentalstudien im Labor, obschon bislang erst in erbärmlich geringer Zahl, stützen den Verdacht. Nicht nur Geistheiler und andere ausgewiesene Psi-Begabte, sondern auch gewöhnliche Versuchspersonen sind demnach imstande, Wachstum und Mutationsrate von Mikroorganismen und Pflanzen auf Distanz zu beeinflussen. Bei Carroll Nash, Professor für Biologie an der St. Joseph´s University in Philadelphia, waren sechzig Versuchspersonen auf diese Weise bei Escherichia Coli-Bakterien erfolgreich. Der Heilerin Olga Worrall gelang es zwischen 1979 und 1981 in Testreihen am Technic Research Laboratories, einem privaten Forschungsinstitut in Golden Valley nahe Reno, unter Aufsicht der Biologin Elizabeth Rauscher mehrfach, Bakterien des Typs Salmonella typhimurium einen 23prozentigen Wachstumsschub zu geben, verglichen mit Kontrollproben. Derselbe Bakterientyp erhöhte seine Wachstumsrate um 700 bis 1000 Prozent, als chinesische Qi-Gong-Meister ihnen "positives" Qi sandten - und verringerte sich um 50 Prozent, wenn sie mittels Qi abzutöten versucht wurden. Solche Effekte konnten selbst dann noch festgestellt werden, wenn sich der "Sender" anderthalb Meter bis 24 Kilometer von den Zielobjekten entfernt aufhielt. Die mittlere Überlebensrate von isolierten Tumorzellen, die aus der Schleimhaut entnommen worden waren, änderte sich unter "geistiger" Einwirkung des britischen Heilers Matthew Manning um 200 bis 2000 Prozent - selbst von einem anderen, elektrisch abgeschirmten Raum aus. Wenn Heiler Bakterien und Krebszellen in vitro zum Wachstum anregen können - warum nicht auch in vivo, im Körper eines Klienten?
Weitere beachtliche Anhaltspunkte liefert ein junger Forschungszweig, der selbst innerhalb der Parapsychologie bisher zuwenig Beachtung gefunden hat: die UGR (Unseen Gaze Research, wörtl. "Erforschung des nicht wahrgenommenen Blicks"). Ernst hätte ihn zumindest aber schon der große russische Dichter Fjodor Dostojewski (1821-1881) genommen.
Während Fürst Myschkin, tragischer Held in Dostojewskis Roman Der Idiot (1868/69), im Bahnhof von Petersburg stand, "schien es ihm plötzlich, dass ein seltsamer, glühender Blick zweier Augen aus der Menge, die sich auf dem Bahnsteig drängte, starr auf ihn gerichtet wäre. Als er jedoch genauer hinschaute, konnte er davon nichts mehr entdecken." Ein paar Stunden später wähnte er den gleichen Blick erneut auf sich ruhen, "die Augen dicht hinter seinem Rücken". Es war ihm, "als hätte ihn etwas durchbohrt, und gleichzeitig fühlte er sich an etwas erinnert - etwas Schweres, Finsteres, Düsteres ..."
Myschkin quälte ein weitverbreitetes Gefühl. Ob in Cafés oder Restaurants, in Zugabteilen oder Straßenbahnen, in Wartezimmern oder Fußgängerzonen: Manchmal packt uns unvermittelt ein plötzliches Unbehagen; dumpf spüren wir, wie etwas Fremdes unangenehm zudringlich wird. Im selben Augenblick glauben wir intuitiv zu wissen: "Jemand starrt mich an!", obwohl wir den Betreffenden anscheinend unmöglich wahrnehmen können, zumindest nicht mit unseren normalen Sinnen. Wir drehen uns um: nicht blindlings irgendwohin, sondern meist, merkwürdig zielsicher, in genau die Richtung, aus welcher uns der Blick zu treffen scheint - und finden unsere Ahnung seltsam häufig bestätigt.
Der Eindruck, ungesehene Blicke zu spüren, ist weit verbreitet: Bereits bei einer 1913 in Kalifornien durchgeführten Umfrage, der allerersten zu diesem Phänomen, entsannen sich 68 bis 86 Prozent der Interviewten - je nach Altersgruppe und Geschlecht - mindestens eines derartigen Erlebnisses. Unter befragten Europäern sind es 80 Prozent, unter Studenten in St. Louis 85 Prozent, unter Texanern 94 Prozent.
Steckt hinter dieser vermeintlichen Sensibilität schierer Aberglaube? Überbewerten wir dabei zufällige Gleichzeitigkeiten? Reagieren wir in Wahrheit auf unterschwellige sensorische Hinweisreize: einen Schattenwurf vielleicht, ein Räuspern oder einen Atemhauch im Nacken? Oder weist diese Erfahrung paranormale Anteile auf: Könnte Telepathie im Spiel sein?
Auf einen Psi-Faktor deuten spektakuläre Testreihen hin, die im Rahmen des DMILS-Forschungsprogramms (Direct Mental Interaction with Living Systems) unter Leitung des amerikanischen Parapsychologen Dr. William Braud in den späten achtziger Jahren begannen und bis heute fortgesetzt werden: anfangs an der "Mind Science Foundation" in San Antonio, Texas, neuerdings am "Institute of Transpersonal Psychology" in Palo Alto, Kalifornien. In einer typischen Versuchsanordnung bemüht sich ein "Agent" - wörtl. "Handelnder", hier: derjenige, der schaut -, innerhalb einer mehrminütigen Zeitspanne jeweils ein paar Sekunden lang, nach einer zufällig festgelegten Sequenz, den "Perzipienten" (Wahrnehmenden) entweder geistig zu "erreichen" und seine Aufmerksamkeit zu erregen, indem er ihn intensiv anstarrt (Experimentalphase) - oder wegzuschauen und sich innerlich abzulenken (Kontrollphase). Wiederholt fand Braud bestätigt, dass "Perzipienten" auch unter Laborbedingungen auffallend häufig Blicke registrieren, die auf sie gerichtet sind - viel häufiger jedenfalls, als bloß zufälliges Herumraten statistisch erwarten ließe.
Dabei nahmen Versuchspersonen, die der Gruppe der "Perzipienten" (Wahrnehmenden) zugelost worden waren, in einem schalldichten, elektromagnetisch abgeschirmten Laborraum Platz und entspannten sich. Unterdessen war eine Videokamera auf sie gerichtet. Was diese aufnahm, wurde live auf einen Monitor in einem anderen, mindestens 20 Meter entfernten Raum übertragen, vor dem ein "Agent" ("Handelnder") saß.
Telepathische Verbindungen zeigten sich in Serien solcher "Anstarrtests" zumeist nur auf einer unbewußten Ebene. Nachdem Braud einen "Perzipienten" anfangs jeweils befragte, ob dieser meinte, angestarrt worden zu sein (ebenso verfuhr der Biologe Rupert Sheldrake mit englischen Schulkindern), ist er inzwischen dazu übergegangen, den elektrischen Hautwiderstand des "Perzipienten" zu messen: ein verläßlicher Indikator für die Aktivität des autonomen Nervensystems. "Eine normalerweise unbewußte physiologische Reaktion wie diese", erläutert Braud, "zeigt unterschwellige Wahrnehmungen möglicherweise sensibler an als jegliche bewußte Äußerung". Diese Annahme bestätigte sich: Zwar lag bei beiden Versuchsanordnungen die Trefferquote der "Perzipienten" deutlich über der statistischen Zufallswahrscheinlichkeit. Doch am eindrucksvollsten fielen die physiologischen Messungen aus: In Phasen des Angestarrtwerdens erhöhte sich die elektrodermale Aktivität durchschnittlich um immerhin 18 Prozent.
Statistische Signifikanzen kümmerten Dostojewskis blaublütigen "Idioten" freilich nicht. Zwar hatte Fürst Myschkin den Eindruck, "als hätte ihn etwas durchbohrt", zunächst bloß für den Vorboten eines seiner häufigen epileptischen Anfälle gehalten. ("Ich fange jetzt wieder an, alles Mögliche zu sehen", wie Dostojewski ihm in den Mund legt.) Doch die Augen, die ihn hinterrücks anstarrten, waren nichts Eingebildetes: Sie gehörten seinem Verfolger Rogoshin.
Was Braud festgestellt hat, ist nichts Geringeres als die Fähigkeit beliebig ausgewählter Testpersonen, eine auf sie gerichtete Intention eines anderen Menschen außersinnlich zu registrieren, wenn auch nur unbewusst. Sollten Patienten auf dieselbe mysteriöse Weise nicht auch von ihren Heilern "erreicht" werden können, falls diese es darauf anlegen? Könnten solche Einflußnahme womöglich über die Grenzen eines Blicks hinausreichen, innerhalb derer sich Brauds Versuche bewegten - und einen Patienten einholen, wo auch immer er sich gerade aufhält? Experimentelle Telepathieforschung spricht dafür. Erfolgreiche Fernheilungen, von denen der Behandelte nichts wusste, während sie stattfanden, deuten darauf hin, dass paranormale Verbindungen zum Wohle anderer möglich sind. Ist auszuschließen, dass durch solche Verbindungen anderen auch Schaden zugefügt werden kann? Trotzdem bleibt vorerst offen (und hätte experimentelle Nachforschungen verdient),
- ob schädliche telepathische Einflüsse auch nur annähernd so stark sind, wie okkultistischen Bangemachern schwant - oder es bei erhöhter elektrodermaler Aktivität und anderen physiologischen Reaktionen harmloserer Art bleibt.
- ob die erzielten Wirkungen spezifisch genug sind, um die Intention des Schädigers auch nur halbwegs zu befriedigen. (In Brauds Experimenten trat lediglich ein unspezifisches, mildes Stresssymptom auf, abzulesen an Veränderungen des Hautwiderstands.)
- ob solche Wirkungen persistieren, d. h. auch unabhängig von der konzentrierten Absicht des Schädigers andauern und ein Eigenleben entfalten. (Andernfalls müsste jeder Heiler, der nichtsahnende Patienten hartnäckig quälen will, sich unentwegt im Geiste mit ihnen befassen - womit er sich selbst wohl am allermeisten strafen würde.)
Dem bedrohlichen Phänomen in Studien mit Menschen nachzuspüren, verbietet sich freilich aus ethischen Gründen: Wer will schon Heiler, aus reinem Erkenntnisinteresse, dazu anstiften, Hilfesuchenden magisch zu schaden? Immerhin gibt es aus der Humanforschung aber indirekte Anhaltspunkte, die eher unabsichtlich gesammelt wurden: in "Doppelblind-Studien" nämlich, bei denen sich die Beteiligten im nachhinein als keineswegs "blind" erwiesen. Vielmehr zeigte sich, dass Absichten, Überzeugungen und Einstellungen von Versuchsleitern und anderem Personal imstande sind, das klassische Doppelblind-Design zu durchkreuzen. So stellte sich heraus, dass bei Doppelblindstudien zur Wirksamkeit von Vitamin E bei Angina pectoris, ebenso wie zum therapeutischen Nutzen von Meprobamat (Equanil, Miltown) bei chronischen Angstzuständen, die recht unterschiedlichen Forschungsergebnisse mit den positiven oder negativen Erwartungen der beteiligten Experimentatoren korrelierten. In einem besonders verblüffenden Experiment ließ der amerikanische Parapsychologe Jery Solfvin studentische Hilfskräfte glauben, dass sie Labormäusen zwei verschiedene Dosen von Malaria-Erregern injizierten; tatsächlich waren bei den Versuchstieren daraufhin unterschiedliche Erkrankungsstadien festzustellen, die zu den gehegten Erwartungen passten - obwohl die Dosis in Wahrheit bei jeder Maus exakt die gleiche gewesen war.
Für den bekannten amerikanischen Alternativmediziner Larry Dossey lassen derartige Studien nur einen Schluss zu: "Die Evidenz (für schwarzmagische Einflüsse auf die Gesundheit von Menschen) ist beträchtlich." Hätte er recht, so wären die Implikationen für die medizinische Forschung und klinische Praxis weitreichend. Bei therapieresistenten Erkrankungen, die als "idiopathisch" gelten - und oftmals zu Geistheilern führen -, aber auch bei anderen chronischen Leiden wäre die Frage nach geistigen Einwirkungen angebracht. Und auch die Beziehung zwischen Arzt und Patient müsste neu überdacht werden. Wie die meisten Wissenschaftler, so unterscheiden sich auch Ärzte in ihrer psychischen Grundstruktur, die ihre Praxis prägt: in Erwartungen bezüglich des Krankheitsverlaufs und der Wirksamkeit therapeutischer Maßnahmen. Manche neigen zu Skepsis und Pessimismus, andere eher zu Zuversicht. Falls solche Haltungen tatsächlich unmittelbare Wirkungen auf die Gesundheit der Patienten haben, sollten Ärzte ihren eigenen inneren Zuständen größere Aufmerksamkeit schenken - und darauf drängen, die medizinische Ausbildung entsprechend zu erweitern.
Wenn tatsächlich nicht völlig auszuschließen ist, daß böswillige Heiler auf geistigem Wege einem unliebsamen Klienten Schaden zufügen können, so beunruhigen Hilfesuchende zwei Fragen: Woran erkennen sie überhaupt, ob ihnen auf solche Weise übel mitgespielt wird? Und wie, wenn überhaupt, können sich davor schützen?
In der Esoterikszene kursieren etliche "Ratgeber", die dürftige Antworten auf die erste Frage, aber bedenkenswerte auf die zweite enthalten. "Aus der Ferne wirkende Kräfte", so versichert der Magie-Experte Matthias Mala in einem Buchkapitel über "Schwarzmagische Angriffe", "können wir mental wie körperlich vernehmen", nämlich dadurch, "dass wir ungewollt und dumpf auf eine Person oder ein Geschehen fixiert bleiben, über das wir uns normalerweise spielend hinwegsetzen können"; durch "wiederkehrende Alpträume"; durch "unbestimmte Kältegefühle, Sträuben der Nackenhaare; das vage Gefühl, als würde jemand hinter uns stehen"; durch "ungewöhnliche, meist eingebildete Geräusche". "Mit Gewissheit", so verbreitet der Autor weiter, "können wir einen schwarzmagischen Angriff annehmen, wenn zugleich mit diesen Anzeichen Katzen das Zimmer verlassen." Solche Kaffeesatzleserei hilft mit mindestens derselben Gewissheit gerade nicht beim Identifizieren von Gefahrenherden, sondern macht alle und jegliche, die sie für bare Münze nehmen, zu angstneurotischen Nervenbündeln - wie etwa jene eingangs erwähnte Christel S. aus Bad Kreuznach, die ihre Arthrose und Chemikalien-Allergie darauf zurückführt, daß sie "seit vier Jahren und zehn Monaten" von einer Stuttgarter Heilerin "und ihren zwei Mitarbeitern täglich zehn Stunden und mehr niedere Strahlung erhält". (Als ob die Heilerin nichts Besseres zu tun hätte.) Oder Anneliese T. aus Dresden, deren Heiler "seinen Geist geklont hat", um nun "als Bestie in meinem Körper Tag und Nacht" sein Unwesen zu treiben.
Was an schützenden und stärkenden Praktiken zur Abwehr magischer Angriffe empfohlen wird, ist bisher leider nie zum Gegenstand ernsthafter empirischer Forschung geworden. Deshalb kann Hilfesuchenden vorerst nur geraten werden, sie auszuprobieren, sofern sie sich "geistig" verfolgt wähnen - nachdem psychiatrische oder psychotherapeutische Maßnahmen erfolglos geblieben sind. Auch wenn "weiße Magie" vielleicht nur als Placebo wirkt - Hauptsache, sie wirkt überhaupt, lindert Pein und besänftigt Verfolgungsängste. Wer noch fest im christlichen Glauben verwurzelt ist, mag auf Fürbitten zu Gott setzen. In jedem Fall hilfreich ist Selbstbewusstseinstraining, das die Überzeugung stärkt, unsichtbaren fremden Mächten nicht wehrlos ausgeliefert zu sein, sondern ihnen eigene Stärke entgegensetzen zu können. Parallelen zur "Besessenheit" drängen sich auf: Weshalb werden nur so wenige Menschen Opfer von Zudringlichkeiten aus der geistigen Welt, wenn doch womöglich jeder von uns ständig von unsichtbaren Wesen und Kräften umgeben ist? Psychologische Studien deuten darauf hin, dass Betroffene bestimmte Persönlichkeitsstrukturen aufweisen, die sie allem Anschein nach für derartige Heimsuchungen besonders empfänglich machen.
Ein schwarzmagisches Risiko, selbst wenn es nicht von der Hand zu weisen ist, sollten Patienten allerdings nicht überschätzen. Die zunehmende Hysterie um angeblich allgegenwärtige Psi-Attacken nutzt vor allem jenen, die mit ihrer professionellen "Abwehr" Geld verdienen. Zum einen denken die allermeisten Heiler nicht im Traum daran, ihre Fähigkeiten jemals zu "schwarzen" Zwecken zu nutzen, selbst wenn sie wüssten, wie sie dabei vorzugehen hätten. Was sie können, verstehen sie als Gottesgeschenk, das sie nicht missbrauchen dürfen. Wie erkennt und meidet man die wenigen Scharlatane, die es womöglich dennoch tun? Sie neigen zu Drohungen, zeigen Allmachtsgehabe, brüsten sich mit magischer Potenz.
Mir wäre wohler, wenn ich Kranken die Furcht vor Schattenseiten der Geistheilerei ausreden könnte; aber völlig ausschließen kann ich sie nicht, auch wenn ich sie fast immer für wahnhaft halte.
Doch selbst wenn von Flüchen und Verwünschungen tatsächlich eine ungesunde Form von Energie ausgehen sollte, überschätzen Kranke, die sich schwarzmagisch verfolgt wähnen, deren Stärke maßlos. Wie lange hätten Stalin und Hitler andernfalls wohl gelebt?
Quellenangaben und weitere Literaturhinweise in Geistheiler - Der Ratgeber.



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