Seit über vierzig Jahren befasst sich der Amerikaner Lawrence LeShan, ein promovierter Psychologe, mit Krebspatienten - nicht bloß aus wissenschaftlicher
Distanz, sondern im leidenschaftlichen Bemühen, ihnen wirksamer zu helfen, als konventioneller Medizin allein gelingt. Von Anfang an war er davon überzeugt, dass "chirurgische und chemotherapeutische Behandlungsmethoden, Bestrahlung und präventive Maßnahmen gegen Risikofaktoren aus der Umwelt - für sich genommen - nicht genug sind. Da kommt viel mehr ins Spiel". Nach seinen Beobachtungen erhöhen bestimmte Persönlichkeitszüge, Einstellungen und Gefühle das Risiko, Krebs zu
entwickeln, ganz erheblich. Folglich sieht er in Krebs "oft ein Anzeichen dafür, dass etwas anderes im Leben des Patienten nicht in Ordnung ist".
Auf dieses "andere" zielend, entwickelte LeShan einen psychotherapeutischen Ansatz, der mittlerweile unzähligen Betroffenen nicht nur ein längeres Leben beschert hat, sondern auch ein erfüllteres, glücklicheres, angstfreies, kurzum ein heileres. Betroffene lernen dabei insbesondere, ihre Erkrankung als
"Wendepunkt" (Turning Point) ihres Lebenslaufs zu betrachten, der nicht nur Bedrohung, sondern auch Chance ist. In den USA haben sich Tausende von Ärzten, Krankenschwestern, Psychologen, Sozialarbeiter und Geistliche, die Tumorkranke betreuen, LeShans Vorgehensweise zu eigen gemacht, die er in mehreren Büchern eindrucksvoll dargelegt hat. In einem eigenen Institut in New York City mit dem vielsagenden Namen "Krebs als Wendepunkt" (Cancer as a Turning Point)
bietet LeShan fünftägige Workshops und psychotherapeutische Einzelsitzungen an, auch als sogenannter "Marathon" von zwei bis fünf Stunden an fünf bis sechs aufeinanderfolgenden Tagen.
Dass sich deutlich über 95 Prozent aller Psychotherapeuten ihr ganzes Berufsleben lang damit begnügen, bei ihrem Leisten zu bleiben, d.h. psychotherapeutisch zu arbeiten - auch wenn sie gelegentlich branchenintern Methoden wechseln, hinzunehmen und abwandeln -, ist vermutlich nicht übertrieben
geschätzt. Lawrence LeShan zählt freilich nicht dazu. Ihn interessierte das ganze Spektrum möglicher Maßnahmen, Krebspatienten zu helfen - und dabei stieß er irgendwann zwangsläufig auch auf das Geistige Heilen. Auch er kam nicht umhin anzuerkennen: Es wirkt. Um herauszufinden, worauf diese Erfolge beruhen, suchte er die Bekanntschaft zahlreicher Heiler unterschiedlichster Schulrichtungen; mit unbefangener Neugier beobachtete er sie, während sie mit ihren Klienten arbeiteten, und befragte sie
eingehend über ihre Vorgehensweise.
Danach stand für ihn fest, worin ihr Geheimnis liegt: Viele Geistheiler, gleich welcher Richtung, versetzen sich in einen veränderten Bewusstseinszustand, in dem sie die Welt anders sehen, als sie Wissenschaftlern und "gesundem Menschenverstand" gewöhnlich erscheint. In diesem Zustand, den Mystiker aller Weltreligionen erlebt und beschrieben haben, gibt es keine Separation, keine Distanz, insbesondere nicht zwischen Heiler und Behandeltem.
Ihre Körper mögen an entfernten Punkten im Raum sein, doch letztlich sind sie eins - miteinander, aber auch mit allem übrigen, als Teile eines Ganzen. Fähigen Geistheilern gelingt es, meditativ in sich den Eindruck zu erzeugen, mit dem Klienten regelrecht zu verschmelzen, mit ihm eine Einheit zu bilden, verbunden mit Gefühlen von Empathie, Liebe und Fürsorge. Dazu bedarf es keinerlei physischen Kontakts. Auch findet keinerlei angestrengtes Bemühen statt, aktiv etwas zu "tun" und
dem Klienten Energie oder sonst irgendetwas zu "geben". Die bloße Bewusstseinsveränderung hin zu einer lebhaft vorgestellten und tief empfundenen transpersonalen Einheit scheint auszureichen, um etwas geschehen zu lassen, was im Patienten Selbstheilungsprozesse in Gang zu setzt. Diese Vorgehensweise nennt LeShan "Type 1 Healing".
Im Selbstversuch erprobte LeShan daraufhin, ob seine Hypothese zutrifft. Er versuchte sich Geistiges Heilen selbst beizubringen, einfach indem er übte, in sich selbst meditativ eben jenen Bewusstseinszustand zu erzeugen, den er für ausschlaggebend erachtete. Und tatsächlich: Auch er erzielte nun beachtliche Heilerfolge. Heiler vom "Typ 2" hingegen, so beobachtete LeShan, berühren den Patienten und schildern irgendeinen "Energiefluss", der durch ihre Hände in seine pathologischen Zonen
fließt. Hier agiert der Heiler, er ist bemüht, etwas zustande zu bringen - anscheinend ist er es, von dem Anstöße zur Genesung ausgehen.
Nach LeShans Überzeugung verkörpern erfolgreiche Heiler allesamt "Typ 1": "Ohne den Prozess des Einswerdens eines Heilers mit dem Behandelten ... neigen die Ergebnisse dazu, vorübergehend zu sein; mit ihm tendieren sie zur Permanenz."
Diese Zweiteilung, und LeShans pauschale Schlüsse daraus, mögen zu undifferenziert sein und
etlichen Spielarten Geistigen Heilens zumindest Unrecht tun, wenn nicht Gewalt antun. (Allerdings räumt LeShan ein, dass manche Heiler die beiden Vorgehensweisen kombinieren, sogar in ein und derselben Sitzung, und durchaus auch noch weitere Methoden bestünden.) Doch ob nun deskriptiv unzulänglich oder nicht, jedenfalls erweist sie sich als normativ wertvoll: Zumindest legt sie die Empfehlung nahe, dass Heiler nach "Typ 1" vorgehen und ihre bisherige Praxis entsprechend anpassen
sollten, wenn sie ihrem Namen Ehre machen wollen. Denn wie LeShan und mehrere Mitarbeiter in anschließenden klinischen Tests herausfanden, schneiden "Typ 1-Heiler" tatsächlich durchweg besser ab als ihre Kollegen vom "Typ 2". Ja, es zeigte sich sogar, dass zumindest beim "Typ 1-Heilen" Entfernungen keine Rolle spielen - Fernbehandlungen sind dann mindestens ebenso effektiv wie Versuche mit Kontaktheilen, wie LeShan und mehrere Mitarbeiter in bemerkenswert sauber
angelegten klinischen Tests bestätigt fanden. Gestützt auf diese Befunde, hat Lawrence LeShan ein regelrechtes Trainingsprogramm für Geistheiler entwickelt. Die Psychologin Dr. Joyce Goodrich, die zwanzig Jahre lang seine Assistentin war, bietet es im New Yorker Institut "Consciousness Research and Training Project Inc." an, das LeShan gegründet hat. In den USA haben seit Anfang der achtziger Jahre schon über eintausend Heiler dieses Programm durchlaufen. In Westeuropa
hingegen hat es bisher noch kaum Fuß gefasst hat - unverdientermaßen.
Quellenangaben und weitere Literaturhinweise in Fernheilen, Band 1. |