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Gesundheitsrisiko Geistiges Heilen (6)

  • Harald Wiesendanger
  • 22. Sept.
  • 3 Min. Lesezeit

Ausführliche Auseinandersetzungen mit diesem und weiteren Argumenten in Geistiges Heilen - Das Große Buch, Geistheiler - Der Ratgeber, Heilen “Heiler”? und Fernheilen, Band 2.


Wer die Rolle des Nocebo-Effekts, wie des Glaubens überhaupt, in der Medizin immer noch unterschätzt, dem sei ans Herz gelegt, sich für das außergewöhnliche Schicksal des Amerikaners Desmond M. zu interessieren. Dieser bedauernswerte Mann litt an einem weit fortgeschrittenen Lymphom, einer Form von Lymphknotenkrebs. Dass er in Kürze sterben würde, schien unausweichlich. Da hörte er von einem noch unerprobten neuen Medikament namens Krebiozen, das Enthusiasten bereits als "Wundermittel" feierten. Voller neuer Hoffnung bestand er darauf, als Testperson in eine erste klinische Studie mit Krebiozen einbezogen zu  werden. Seine Ärzte waren einverstanden, wenngleich sie davon ausgingen, dass er so oder so nicht länger als zwei Wochen überleben werde. Seine körperliche Verfassung war erbärmlich. Ans Bett gefesselt, rang er keuchend nach Luft.


Doch innerhalb von zehn Tagen nach der Einnahme von Krebiozen schrumpften seine Tumoren in unfaßbarem Maße - "wie Schneebälle auf einem heißen Ofen", wie einer der behandelnden Ärzte anmerkte. Bald darauf konnte Desmond M. aus dem Krankenhaus entlassen werden.


Zwei Monate später jedoch geisterten entmutigende neue Meldungen über Krebiozen durch die Medien. Kurz darauf musste der Mann ins Krankenhaus zurückkehren, mit deutlich vergrößerten Tumoren.


Da entschloss sich sein Arzt, ihm weiszumachen, soeben sei eine Lieferung mit einer neuen, viel potenteren Krebiozen-Variante in der Klinik eingetroffen. Abermals erhielt der Patient  Injektionen - allerdings nicht mit Krebiozen, sondern bloß mit destilliertem Wasser. Trotzdem schrumpften die Tumoren ein zweites Mal, und der Patient erholte sich dramatisch schnell.


Mehrere Monate hielt seine Genesung an. Dann hörte er in den Fernsehnachrichten die Meldung: "Landesweite AMA-Tests (der American Medical Association) haben ergeben, dass Krebiozen als Krebstherapie wertlos ist."


Nicht einmal zwei Tage später war Desmond M. tot.


Reicht ein Nocebo-Effekt, der derart wirkungsmächtig ist, nicht vollauf aus, um alle eingebildeten und tatsächlichen Schäden zu erklären, die Klienten von Geistheilern davontragen? Einen darüber hinausgehenden "Psi"-Faktor zu unterstellen, gilt in der akademischen Fachwelt als schierer Aberglaube. Die im Wissenschaftsbetrieb der Gegenwart immer noch vorherrschende Einstellung hierzu hat der namhafte britische Ethnologe James Frazer (1854-1941) in seinem zwölfbändigen The Golden Bough schon vor achtzig Jahren auf den Punkt gebracht: "Magie ist ein unechtes System angeblicher Naturgesetze ... eine Pseudowissenschaft ebenso wie eine misslungene Kunst ... (Entsprechende Überzeugungen sind typisch für) die unreife Intelligenz nicht nur des Wilden, sondern auch von mit Ignoranz und Dummheit geschlagenen Leuten, wie sie überall anzutreffen sind." 


Der Glaube an magische Mächte, auch und gerade an "schwarze", zieht sich indes durch alle Religionen und Kulturkreise. Das christliche Abendland macht da keine Ausnahme. Elias beispielsweise veranlasste, wenn wir der Bibel Glauben schenken wollen, offenbar allein durch Geisteskraft, dass 42 Kinder von Bären verschlungen wurden, zur Strafe dafür, dass sie über sein kahles Haupt gespottet hatten. (Zweites Buch der Könige 2, 23-24). Der Apostel Paulus schlug einen Zauberer mit Blindheit (Apostelgeschichte 13, 11). Und selbst Jesus Christus ließ auf magischem Weg einen offenkundig unschuldigen Feigenbaum verbrennen, bloß weil er keine Früchte trug. (Matthäus 21, 19, Markus 11, 13-14, 20-22).


Ethnologen und Anthropologen haben von ihren Forschungsreisen in die Dritte Welt ganze Berge von durchaus eindrucksvollen Dokumentationen über schwarze Magie mitgebracht. Führen sie uns denn nicht unübersehbar vor Augen, welch ungeheure Wirkung ein "böser Blick", eine einzige hasserfüllte Verwünschung auf das körperliche Wohlergehen ihrer Opfer haben kann? Allem Anschein nach reicht die bloße Absicht, einem anderen Menschen zu schaden, tatsächlich häufig aus, ihn zu verletzen, krank zu machen - oder gar umzubringen. Überzeugend belegt sind Todesfälle durch Voodoo-Zauber: Ein zuvor völlig gesunder Mensch wird schlagartig bettlägrig, magert ab und stirbt innerhalb von ein bis zwei Wochen, nachdem ein Fluch über ihn gesprochen wurde. In manchen zentralafrikanischen Stämmen wird nur ein Viertel aller Todesfälle natürlichen Ursachen zugeschrieben, während über 50 Prozent der Magie zur Last gelegt werden.


Ob der Schadenszauber von Medizinmännern, Schamanen und Voodoo-Hexern seine Ziele allerdings stets mit "übernatürlichen" Mitteln erreicht, ist in den meisten Fällen zweifelhaft. Denn gewöhnlich wirkt er nur dann, wenn das Opfer von ihm erfährt. Und dieses Wissen allein, verbunden mit einem ängstlichen Glauben an die unentrinnbare Macht des Zaubers, kann dramatische körperliche Auswirkungen haben. Bei vielen Voodoo-Opfern ist eine Überaktivität des Parasympathikus festgestellt worden, jenes Zweigs des "unwillkürlichen", autonomen Nervensystems, der lebenswichtige Funktionen wie Herzschlag, Lungenkontraktion, Verdauung und Drüsensekretion steuert. Hier scheinen tatsächlich "Nocebo-Reaktionen" abzulaufen. Dafür spricht die Beobachtung vieler Ethnologen, dass starker Glaube im allgemeinen auch ausreicht, um einen Fluch abzuwehren: sei es im Vertrauen auf göttlichen Beistand, auf die eigenen Geisteskräfte, mit magischen Schutzmitteln oder im Bund mit einem Schamanen, der sich auf Abwehrzauber versteht.

 
 
 

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