Heilen setzt Vertrauen voraus; Patienten brauchen es, ehe ihnen wirksam geholfen werden kann. Dazu dürfen sie nicht den Eindruck gewinnen, von einem Heiler über Gebühr ausgenommen zu werden, noch von schlechtem Gewissen geplagt werden, ihn unter Wert zu entlohnen - wie umgekehrt der Heiler nicht das Gefühl haben darf, es werde unterbewertet, was er tut. Aber was
ist Geistiges Heilen wert? Wann ist es preiswert, wann zu teuer? Grundsätzlicher gefragt: Worin besteht überhaupt der Wert einer Dienstleistung, als Ware im weitesten Sinne? In der Nationalökonomie haben sich, ausgehend von Adam Smith (1723-1790), vier Wertlehren ausgebildet:
1. Der Wert entspricht dem Preis, der sich im Wechselspiel von Angebot und Nachfrage auf dem Markt einpendelt (konventionelle Wertlehre) 2. Der Wert bestimmt sich durch die Kosten, die der Anbieter aufwenden muss, um die Ware herzustellen, die Dienstleistung erbringen zu können (Kostentheorie) 3. Der Wert entspricht der aufgewandten Arbeit (Arbeitswertlehre) 4. Der Wert entspricht der subjektiven Wertschätzung seitens des Abnehmers, dem wahrgenommenen Nutzen ("Gebrauchswert") - mit anderen Worten, der Bedeutung, die ein Gut für ihn hat. (Nutzentheorie).
Je nachdem, welcher Wertlehre wir den Vorzug geben, gelangen wir zu höchst unterschiedlichen Vorstellungen über den Preis, der Geistigem Heilen angemessen ist:
1. Auf dem Markt eingependelt hat sich bisher kein fester Preis, sondern eine Preisspanne von erheblicher Breite. 2. Die Kosten, die Heilern entstehen, gehen anscheinend gegen Null: Die "Energie", die sie weitergeben, stellt ihnen niemand in Rechnung, und eine kostspielige Ausbildung scheint nicht unbedingt erforderlich. Zu berücksichtigen wäre möglicherweise aber ein Verdienstausfall: der Verlust von Einnahmen, die sie erzielen würden, wenn sie ihre Zeit nicht aufs Heilen verwenden würden. 3. Von "Arbeitsaufwand" kann beim geistigen Heilen kaum die Rede sein, zumal bei Behandlungen, die nur wenige Minuten dauern. Ohnehin ist es nach Auffassung der meisten Heiler ein höherer Geist, der die eigentliche Arbeit verrichtet. 4. Der subjektive Nutzen schwankt extrem: Er fehlt völlig, sofern kein Heileffekt eintritt - er kann aber auch unermesslich groß sein, wenn etwa eine tödliche Krankheit besiegt wird. (Einem Krebskranken mag eine Geistheilung eine fünfstellige Summe wert sein, zumal wenn er sie an den Kosten vorausgegangener Operationen, Bestrahlungen und Chemotherapien misst, die ihm nichts gebracht haben.)
Wer Heiler anprangert, die aus ihrer Tätigkeit überdurchschnittlich hohe Einnahmen erzielen, verfängt sich in der Regel in zwei argumentativen Fallstricken: Er verwirft, ohne brauchbare Alternative, Markt- und Nutzenlehren - und er springt von der deskriptiven auf die normative Ebene, von wo aus er bewertet, welcher Preis als "fair", welcher Lohn als "gerecht" zu gelten hat, und solche Bewertungen verbindlich zu machen versucht. Mit deutlicheren Worten: Er will totalitäre Politik machen. Das Recht zu solchen Bewertungen wird in der Heilerszene gewöhnlich aus einer Überzeugung hergeleitet, die Moralphilosophen immer schon heilig war: dem Glauben an den "inneren Wert" eines Objekts, der ihm unabhängig von ökonomischen Maßstäben zukomme. Geistiges Heilen, so scheint es aus der Sicht eines wirtschaftsethischen Absolutisten, ist etwas so Überirdisches, dass es nicht profanen Tausch- und Nutzenerwägungen unterworfen werden darf. Doch selbst wenn es so etwas wie einen "Wert an sich" gäbe, bliebe immer noch fraglich, ob es sinnvoll wäre, den Preis daran zu bemessen - und wer eigentlich autorisiert ist, ihn festzulegen. Nicht nur Heiler meinen aus überirdischen Quellen zu schöpfen - auch viele Maler, Schriftsteller und Musiker fühlen sich von höheren Welten inspiriert. ("Nicht ich singe meine Lieder, sondern ich werde von ihnen gesungen", merkte Goethe zu seinen Gedichten einmal an. Und Jurek Becker bekannte im März 1997 in seinem letzten Interview, vier Wochen vor seinem Tod: "Ich lese manchmal Texte von mir und komme zu dem Schluss: eigentlich sind diese Texte intelligenter, als ich es bin. Und ich frage mich, wie das möglich ist.") An welche Instanz, wenn nicht den Markt, delegieren wir die Entscheidung, wieviel ihre Arbeit tatsächlich wert ist? Was legitimiert eine solche Instanz? Und warum sollte sie auf das Heilen beschränkt bleiben? Deutschlands Spitzenmanager und Geschäftsführer streichen jährlich im Schnitt über 200’000 Euro ein, ihre amerikanischen Kollegen liegen noch um ein Zehnfaches darüber. Mancher auf das treffsichere Treten gegen einen luftgefülltes Leder spezialisierter Kicker streicht Monat für Monat bis zu zehn Millionen Euro Grundgehalt ein, zuzüglich Siegprämien und Sponsorenzuwendungen. Eine junge Dame aus Brühl, die eine Filzkugel ein wenig besser als andere über ein gespanntes Netz dreschen konnte, hat es mit dieser Gabe auf über 20 Millionen Euro Preisgelder gebracht, Werbegelder nicht eingerechnet. Ein Landsmann, der ein Auto Sekundenbruchteile schneller als die Konkurrenz ein paar Dutzend mal im Kreis zu chauffieren versteht, bringt es auf 40 Millionen Euro pro Jahr. Es gibt Gemälde, die für zweistellige Millionenbeträge den Besitzer wechseln - und wer prominent genug ist, kann selbst einen handgeschriebenen Liebesbrief, eine zweckentfremdete Zigarre oder einen mehrfach getragenen Slip lukrativst versteigern. Wie steht es hier um das "angemessene" Verhältnis von Aufwand und Ertrag? Sollten wir nicht schleunigst eine "Ethik-Kommission" installieren, die solchen Auswüchsen einen Riegel vorschiebt? Und mit wem besetzen wir solche Kommissionen?
Das heißt nicht, dass beim Geistigen Heilen jedes Geschäftsgebaren akzeptabel ist. Was Hilfesuchende nicht nur von Handwerkern und Einzelhändlern, sondern auch von Heilern fordern müssen, ist
-
Transparenz: Die Art der Leistung und ihr Preis müssen vorab offengelegt und Einigung darüber erzielt werden. - Verbindlichkeit: Zugesagte Leistungen und Preise müssen eingehalten werden. - Redlichkeit: Eine Leistung, die nicht mit Sicherheit zu erbringen ist (nämlich Heilung oder auch nur Linderung von Leid), darf auch nicht versprochen und abgerechnet werden.
Unter diesen Prämissen muss ein informierter Marktteilnehmer, auch im Gesundheitswesen,
aus freien Stücken entscheiden dürfen (und können), wieviel ihm ein Therapieangebot wert ist. Das Risiko, am Ende, bei enttäuschendem Ergebnis, einem überdurchschnittlich teuren Anbieter "zuviel" bezahlt zu haben, trägt er ebenso beim Psychotherapeuten, in der Parfümerie, in der Modeboutique, auf dem Strich.
Einen Sonderfall stellen anscheinend "Fernbehandlungen" dar:
Heilversuche in Abwesenheit des Hilfesuchenden. Vom Ausnahmefall des Heilens am Telefon abgesehen, ist der Behandelte hierbei außerstande, den Zeitaufwand des Heilers zu kontrollieren. Die meisten Fernheiler betreuen ihn anhand eines Fotos, eines Zettels mit Name und Adresse des Klienten, eines zugesandten persönlichen Gegenstands. Zwar vereinbaren sie mit den Klienten im allgemeinen feste Behandlungszeiten, zu denen sich der Klient entspannen und innerlich einstellen soll - aber wie kann der
Klient sichergehen, dass der Heiler dann auch tatsächlich mit ihm arbeitet? Selbst merkwürdig starke Empfindungen, die zwei Drittel aller Fernbehandelten zu den vereinbarten Zeitpunkten berichten, bleiben trügerische Indizien: Sie können autosuggestiv erzeugt sein. Aus diesem Grund prangern es vereinzelte Heilerverbände als unethisch an, Fernbehandlungen überhaupt abzurechnen - Mitglieder müssen sie gratis anbieten, andernfalls drohen ihnen Abmahnungen und Einträge in "schwarze
Listen".
Wenn allerdings Leistungen, deren Zeitaufwand für den Kunden unkontrollierbar sind, nichts kosten dürften, so müsste auch gegen Homöopathen vorgegangen werden, wenn sie stundenlanges Repertorisieren in Rechnung stellen. Werbe- und PR-Agenturen verhielten sich unanständig, wenn sie die Entwicklung von Aktionen und Kampagnen nach Stundensätzen abrechnen: Denn woher will der Kunde wissen, dass die zündende Idee und ihre Umsetzung erst nach 138 Stunden geboren war, und nicht
schon nach sechseinhalb? Vieles auf dem freien Dienstleistungsmarkt bleibt, zwangsläufig, Vertrauenssache, und das ist gut so, denn die einzige Alternative bestünde in einem lückenlosen sozialen Kontrollsystem von Orwell´schen Ausmaßen: Der eine verspricht, etwas zu tun - der andere baut darauf. Wo dieses Vertrauen fehlt, kommen Geschäftsbeziehungen gar nicht erst zustande.
Das vermutlich fairste Honorarsystem für Heiler, wie für Heilkundige insgesamt, sieht ohnehin völlig anders aus.
Die Chinesen pflegten es während der Song-Dynastie (960 bis 1290 nach Christus), und für Gesundheit und Geldbeutel der Menschen erwies es sich als gleichermaßen förderlich: Die Familien der gehobenen Stände bezahlten ihren Hausärzten ein festes Gehalt, solange alle Angehörigen gesund waren. Erkrankte ein Mitglied der Familie, wurden die Zahlungen bis zur Heilung ausgesetzt.
Quellenangaben und weitere Literaturhinweise in Geistheiler - Der Ratgeber. |