Wenn Sigismund B. Kranken hilft, macht er keine großen Worte - aber auch nicht viel mehr als Worte. Der 66jährige Ruheständler aus Großenrade in Schleswig-Holstein, im Hauptberuf zuletzt Signalwärter bei der Deutschen Bundesbahn, heilt durch «Besprechen»: eine volkstümliche Heilkunst, die ihm seine Mutter beigebracht hat. «Ich fass´ die Leute überhaupt nicht an», sagt er. Nach einem kurzen Blick auf die erkrankte Stelle murmelt er einen magischen Spruch, so leise, dass
ihn der Hilfesuchende nicht verstehen kann. Zwischendurch verlässt er zweimal das Zimmer. Wenn er zum zweiten Mal zurückkommt, sagt er kurz: «Alles vorbei.» Diese Prozedur müsse «im Abstand von drei Tagen dreimal wiederholt werden. Es kann auch mit Auflagen, wie etwa einem Alkoholverbot, verbunden sein. » Was er tut, wenn er nach draußen geht, und wie sein Spruch lautet - das bleibt B.´s Geheimnis: «Wenn Sie den Vers wissen wollen, dann schmeiß’ ich Sie raus, wie dies meine Mutter schon
einmal mit einem Überneugierigen getan hat.» Fast alle Patienten respektieren die Geheimniskrämerei. Hauptsache, ihnen wird geholfen - und darauf schwören Hunderte. Hartnäckige Gürtelrose und Flechten, Allergien und Migräne, Gicht und Brandwunden, denen kein Arzt beikam, sollen bei B. manchmal innerhalb weniger Tage verschwinden, für immer.
Die Kunst des Besprechens, die B. weit über seinen heimatlichen Kreis Dithmarschen hinaus bekannt gemacht hat, ist eine Domäne der traditionellen
Volksmedizin. Jahrhunderte, bevor esoterische Modeerscheinungen wie Reiki von sich reden machten, praktizierten Natur heilkundige und Kräuterweiblein sie bereits landauf, landab. Bis heute wird sie, über Generationen weitergegeben, von Volksheilern vor allem in ländlichen Gegenden bewahrt. Doch inmitten des Booms, der geistiges Heilen in der Öffentlichkeit erlebt, scheint diese uralte Heiltradition vom Aussterben bedroht. Die gewachsenen intellektueller Bedürfnisse des Heilernachwuchses
befriedigen ausgefeilte, philosophisch hintergründige Ansätze, die sich um feinstoffliche Energie- und Schwingungsresonanzen, Meridiane und Chakras drehen, weitaus mehr als eine scheinbar primitive, weitgehend theorielose Wortmagie aus dem einfachen, ungebildeten Volk. So fand ich unter knapp tausend Geistheilern, die mir zwischen 1990 und 1994 durch Medienberichte, Anzeigen, Messen, Kongresse oder Empfehlungen auffielen, gerade noch zwei, die das Besprechen ausdrücklich zu ihren bevorzugten
Behandlungsmethoden rechneten. Dabei wären den unbestreitbaren Erfolgen dieser Heilkunst wertvollste Lektionen darüber zu entnehmen, wie es Geistiges Heilen im allgemeinen fertigbringt, heilsam zu wirken. Denn ebenso wie eine aufgelegte Hand, so wirkt das gesprochene Wort nicht in erster
Linie durch irgendwelche physikalischen Besonderheiten; entscheidend scheint der Geist, in dem es eingesetzt und angenommen wird. Und nicht nur die Mittel, auch die Effekte ähneln einander: Selbst hartnäckigste Leiden verschwinden gelegentlich binnen Tagen, ohne wiederzukehren.
Das zeigt sich insbesondere an der verbreitetsten und bei weitem, bekanntesten Form dieser Heilmagie: dem Besprechen von Hautwarzen. Warzen sind gutartige, meist durch Viren hervorgerufene Neubildungen der Haut.
Dermatologen unterscheiden drei Formen: Gewöhnliche Warzen (Verrucae vulgares) sind stecknadel- bis erbsengroße Wucherungen, mit einer graugelben, stärker verhornten, oft wit ein winziger Blumenkohl zerklüfteten Oberfläche und einem Stiel, der in tiefere Gewebeschichten vorstößt. Sie sitzen bevorzugt an Hand- und Fußrücken; besonders an der Fußsohle können gewöhnliche Warzen tief eindringen, mit einer Schwiele bedeckt sein und heftig schmerzen. - Alterswarzen (Verrucae seniles,
Verrucae seborrhoicae) treten meist am Rücken oder im Gesicht auf; sie sind gelbbraun bis braunschwarz gefärbt, mit einem fettigen Überzug, und linsen- bis pflaumengroß. - Bei den jugendlichen Warzen (Verrucae planae juveniles) handelt es sich um kleinste Hautwucherungen in Form von rötlich-gelben, runden, flachen Knötchen, die manchmal einzeln, oft aber auch gleichzeitig in großer Anzahl am ganzen Körper auftreten können.
Bis heute tut sich die konventionelle Medizin schwer
mit diesen lästigen Hautgewächsen. Um sie zu beseitigen, schneiden Ärzte sie mit einem scharfen Löffel heraus, brennen sie elektrolytisch weg, frieren sie mit flüssigem Stickstoff ab oder verätzen sie mit scharfer Säure. Diese Vorgehensweisen sind nicht nur grob, schmerzhaft und können Narben hinterlassen, sie bringen auch häufig nichts. In mindestens jedem zweiten Fall wachsen die hartnäckigen Gebilde nach, oft sogar vermehrt.
Demgegenüber verbuchen Warzenbesprecher seit Jahrhunderten
geradezu grandiose Erfolge, ebenso rasche wie anhaltende. Oft fallen die Warzen binnen weniger Stunden ab, von der umgebenen Haut losgelöst wie von Geisterhand, und darunter kommt reine, rosa Haut zum Vorschein. In anderen Fällen beginnt die Warze vom Tag ihres Besprechens an allmählich zu schrumpfen, um schließlich im Laufe von ein bis zwei Wochen für immer zu verschwinden. Selten bleiben Narben zurück. Solche Spontanheilungen müssten Mediziner um so mehr faszinieren, als sie offenbar keine
«bloß» funktionellen Leiden betreffen. Hautwarzen stellen ein reales, klar eingrenzbares organisches Problem dar, es handelt sich um abnormes, meist virusinfiziertes Gewebe. Gleichwohl scheint ein rein «geistiger» Faktor auszureichen, ihm beizukommen.
Aber welcher ist dieser Faktor? Die meisten Besprecher glauben an die magische Macht des besonderen Rituals, dessen Regeln sie peinlich genau einhalten. Jedem Wort, jeder begleitenden Geste wohnt in ihren Augen eine Zauberkraft inne, die
nachlässt oder ganz erlischt, sobald sie auch nur in geringfügigsten Details verändert werden.
Ich bin nicht bereit, mich mit dieser Erklärung abzufinden. Zu zahlreich, ja geradezu beliebig sind die Beschwörungsformeln, die auf Warzen im Laufe der Jahrhunderte niedergegangen sind - trotzdem wirkten sie alle, und keine hat sich der anderen als überlegen erwiesen. Zu den unüberschaubar vielfältigen Methoden, Warzen wegzuzaubern, zählten unter anderem:
- bei Vollmond einen
abgeschnittenen Heringsschwanz drauflegen; - die Warze mit der Schnittfläche einer Kartoffel einreiben, die später, während einer bestimmten Mondphase, unter einem bestimmten Baum vergraben wird; - die Warze zu einem bestimmten Preis «verkaufen», wobei tatsächlich Geld den Besitzer wechseln muss; - Schnecken, mit denen vorher über die Warze gestrichen wurde, auf Weißdornruten spießen; - in einen Faden so viele Knoten machen, wie ein Betroffener Warzen trägt, und
diesen Faden anschließend unter einen Stein legen - wer darauf tritt, auf den gehen die Warzen über; - die Warze mit einer Speckschwarte bestreichen, die dann in ein frisches Grab geworfen wird (verbunden mit dem Spruch: «Warze, fall ab, wie der Tote ins Grab! »); - die Warze mit Löwenzahnmilch beträufeln, wozu geflüstert wird: «Reiß die Warzen aus, Warzen fort», denn der Löwe, als stärkstes und deshalb «königliches» Raubtier, kann mit seinen Zähnen alles ausreißen. - In
Japan wird auf eine Warze das Schriftzeichen für «Taube» gemalt. Denn das japanische Wort für Warze ist «mame» und bedeutet zugleich «Erbse»; die Taube soll die Erbse fressen, und damit verschwindet auch die Warze.
Noch immer warte ich auf einen Geistheiler, der mir klarmachen kann, was all diese Prozeduren gemeinsam haben - außer dem starken Glauben von Besprechern und Besprochenen, dass sie wirken. In eben diesem Glauben aller Beteiligten sehe ich nicht immer den alleinigen,
wohl aber den ausschlaggebenden Grund dafür, dass Warzenbesprechungen gelingen.
Denn Pseudokuren erreichen nicht weniger, vorausgesetzt, sie wecken hinlänglich starke Überzeugungen. Einen Mann Ende Fünfzig, dessen Haut jahrelang am ganzen Körper mit Warzen übersät war und der bei Schulmedizinern bisher nie Hilfe gefunden hatte, konnte ein amerikanischer Arzt mit einem simplen Trick erlösen: Er empfahl ihm eine brandneue, noch in der Experimentierphase befindliche Form der Bestrahlung,
die zwar ein gewisses Risiko in sich berge, jedoch geeignet sei, das Warzenproblem ein für allemal zu beseitigen. Freudig willigte der Betroffene ein. Daraufhin wurde er in ein abgedunkeltes Röntgenlabor geführt, wo er sich vollständig entkleiden musste. Dann ließ der Arzt laut den Apparat summen, ohne ihn wirklich einzuschalten. Anderntags waren sämtliche Warzen abgefallen. - Für besonders widerspenstige Warzenfälle bewahrt ein amerikanischer Dermatologe in seiner Schreibtischschublade den
Schädel einer Eidechse auf. Wenn nichts anderes hilft, kramt er ihn irgendwann hervor und rät den Patienten, eine Hand darauf zulegen. Er berichtet von Fällen, in denen langjährige Warzen daraufhin innerhalb von zehn Tagen schrumpften und verschwanden.
Ähnlich trickreich hatte schon Mitte der zwanziger Jahre der Schweizer Arzt Bruno Bloch, als «Warzendoktor von Zürich» vielgerühmt, in einem Test Trägern von Handwarzen helfen können: Jeder wurde mit verbundenen Augen aus dem
Sprechzimmer in einen Nebenraum geführt, wo er die befallene Hand auf einen Pantostaten legen musste, auf ein Therapiegerät, das dem Körper über die Handinnenflächen schwachen elektrischen Strom zuführt. Dann ging der Apparat summend an, die Stromzufuhr blieb jedoch ausgeschaltet. Anschließend wurden die Warzen mit einer Farbstofflösung bestrichen. Einige Wochen später fanden sich 179 zur Untersuchung bei Bloch ein. Davon waren 54,7 Prozent narbenlos geheilt. Bei den flachen Warzen der
Jugendlichen erreichte die Quote sogar 88,4 Prozent. In Blochs Praxis stand auch eine «Warzenmaschine», ein metallenes Ungeheuer mit dröhnendem Motor und blinkenden Lichtern, die angeblich starke «warzenabtötende Strahlen» aussandte. Damit wurden 31 Prozent aller Warzenpatienten von ihrem lästigen Problem befreit, oftmals mit einer einzigen Behandlung.
Beim Warzenbesprechen handelt es sich demnach in erster Linie eine Suggestivtherapie. Einem erfahrenen, von sich selbst überzeugten
Besprecher fällt es leicht, einem aufgeschlossenen Patienten eine effektive «Behandlung» zu suggerieren - und diese Suggestion scheint, vermittelt über die Psyche des Warzenträgers, körperliche Abwehrreaktionen in Gang zu setzen, die den Warzen tatsächlich oft beikommen. Die genauen Wirkmechanismen allerdings sind noch weitgehend ungeklärt; fest steht nur, daß geeignete Suggestionen imstande sind, die glatte Muskulatur zu entspannen, die Adrenalinausschüttung zu hemmen, die peripheren Gefäße
zu erweitern, dadurch die betroffenen Hautbezirke besser zu durchbluten und dem entzündeten Gewebe vermehrt Antikörper zuzuführen. Auch können sie die Körpertemperatur am Entzündungsort erhöhen, wodurch die Bildung von Interferon und anderen körpereigenen Abwehrstoffen angeregt wird. All dies könnte dazu beitragen, dass die Virusinfektion abklingt, die zur Warzenbildung führte.
Solche «natürlichen» Wirkwege schmälern freilich nicht im geringsten, was Besprecher bisweilen zustande
bringen. Ganz im Gegenteil: Es ist eine erstaunliche, geradezu vorbildliche therapeutische Leistung, mit derart einfachen, völlig ungefährlichen Mitteln eine beinahe plötzliche, meist rückfallfreie Selbstheilung von einem organischen Leiden einzuleiten, das herkömmlicher ärztlicher Kunst zuvor hartnäckig widerstanden hatte. Ein Arzt, der diese Leistung hohnlächelnd abtut, begreift nicht, welch überragenden Erkenntniswert eine magische Warzenheilung in sich birgt. Mir fallen wenige
medizinische Anomalien ein, deren gründliche Untersuchung lohnender wäre. Wenn der menschliche Körper imstande ist, unter besonderen Bedingungen, wie sie die fähigsten Besprecher herstellen können, binnen kürzester Zeit entartetes Gewebe höchst präzise und dauerhaft abzustoßen - wäre es für die Medizin nicht außerordentlich bedeutsam, die Wege zu ergründen, auf denen dieser Vorgang beruht? Könnten auf den gleichen Wegen, die Warzenheilungen ermöglichen, nicht auch andere lokal eingrenzbare
Störungen angegangen werden: beispielsweise Kalkablagerungen in den Gelenken, Verstopfungen in den Herzarterien - oder gar bösartige Geschwülste?
Denn selbst bei Tumoren erzielen Besprecher mitunter kaum fassbare Erfolge: unter ihnen Peter S. aus dem schleswig-holsteinischen Wentorf, der seine Fähigkeiten von seiner Urgroßmutter «übergeben bekommen» haben will. An ihn wandte sich im Oktober 1992 eine 48jährige Frau aus Hamburg, hinter deren linkem Auge sich ein Tumor gebildet hatte.
Nachdem sie seit einem Jahr erfolglos in einer Universitätsklinik behandelt worden war, sahen ihre Ärzte nur noch die Möglichkeit einer Operation, die ihr das Auge gekostet hätte. Dreimal kam sie zum «Besprechen» in S.s Praxis. zwei Wochen später war der Tumor verschwunden, wie eine klinische Untersuchung bestätigte. Ebenso verblüffend ist der Fall eines dreijährigen Kindes aus Ahrensburg, an dessen linker Halsseite ein faustgroßer Lymphknotentumor (Morbus Hodgkin) wucherte. zwei Wochen nach
der Diagnose schlugen die Ärzte eine Operation mit anschließender Chemotherapie vor. Dreimaliges Besprechen erübrigte diese Tortur: Nach vier Wochen war der Tumor nicht mehr feststellbar .
Auch bei S.s Heilerfolgen scheint starker Glaube entscheidend mitzuwirken - aber nicht immer und nicht allein. Lösen bei einem dreijährigen, tumorkranken Kind die seltsamen, unverständlichen Spruchformeln eines fremden Mannes im allgemeinen nicht eher Angst aus, als dass sie suggestive Kraft
entfalten? Erst recht unerfindlich wären, falls Besprecher ausschließlich mit suggerierten Überzeugungen arbeiten, viele gutbelegte Erfolge auch bei Tieren. Auf Sigismund B.s Zauberverse etwa sprechen auch Kühe und Pferde, Hunde und Katzen, Hamster und Vögel an. Dies deutet darauf hin, dass zum psychischen oft ein energetischer Faktor hinzutritt. Wie die aufgelegte Hand oder die christliche Fürbitte, so könnte der magische Spruch dabei die Rolle eines Induktors spielen, der paranormale
Heilkräfte freisetzt. Erst sein fester Glaube, mittels dieses Rituals heilen zu können, stößt dem Heiler die Tür zu ihnen auf.
Auch wenn die Kunst des Besprechens im Aussterben begriffen ist, deutet nichts darauf hin, dass sie andere Methoden Geistigen Heilens unterlegen wäre. Am ehesten profitieren Patienten davon, die Wortmagie nicht von vornherein für undenkbar halten - und auf Heiler treffen, deren Behandlung sich nicht darin erschöpft. Geistheiler arbeiten in der Regel dann am
erfolgreichsten, wenn es ihnen gelingt, zu Kranken eine intensive, verständnis- und liebevolle Beziehung aufzubauen. «Natürlich spielen Sympathie und Glaube ebenso wie die Hoffnung eine große Rolle beim Besprechen, wie bei jeder Form von Heilung», räumt Peter S. ein. Mit ein paar aufgesagten Zauberformeln allein ist es wohl kaum getan.
Quellenangaben und weitere Literaturhinweise in Geistiges Heilen - Das Große Buch.
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