Seine Art des Geistheilens zu den verbreitetsten zu zählen, wäre schamlos übertrieben. Um der Wahrheit die Ehre zu geben: Zumindest bis Sommer 2002 war er
vermutlich weit und breit der einzige hierzulande, der nach seiner Methode vorging - bis er in München, Freiburg, Köln und anderen deutschen Großstädten die ersten Kurse anbot und sich von mir zum Sechsten Weltkongress für Geistiges Heilen 2003 in Basel einladen ließ. Es gehört freilich keine prophetische Gabe zur Voraussage, dass er nicht mehr lange unbemerkt bleiben wird. Denn er bringt alle Voraussetzungen eines erfolgreichen Schulgründers im alternativen Therapiesektor mit, und einiges mehr: einen abenteuerlichen Lebenslauf, einen klugen, weitblickenden Kopf, ein angenehm unprätentiöses Auftreten frei von Guru-Allüren, rhetorische Brillanz, 25 Jahre Erfahrung als Heiler, eine beim zeitweiligen Eintauchen in mehrere Kulturkreise gereifte Weisheit, reichlich Lob von Kliniken und Ministerien, renommierte Wissenschaftler als Fürsprecher - und vor allem eine eigenwillige, wahrhaft originelle Art zu heilen, die ihn aus der Masse der "Energiearbeiter" deutlich herausragen lässt. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich die ersten paar hundert Schüler um ihn scharen - vorausgesetzt, er ist darauf aus. Die Rede ist von Cliff Sanderson, einem Neuseeländer, der im Frühjahr 2012 zum dritten Mal für längere Zeit nach Deutschland kam, gemeinsam mit seiner russischen Frau Galina, einer Stimm- und Klangtherapeutin. In seiner Heimat war er bis Anfang der achtziger Jahre in der Film- und Werbebranche tätig gewesen - doch dann “folgte ich meinem Wunsch, Menschen mit physischen und psychischen Problemen zu helfen. Ich reiste rund um die Welt und lernte bei vielen, teilweise berühmten Heilern.”
Eine Besonderheit an Sandersons Ansatz ist, wie unspektakulär, schlicht, in seiner Methodik geradezu spartanisch er daherkommt. Ein ausgefeiltes System von Ritualen, Symbolen und Handlungsanweisungen, wie es fast alle neueren Heiltraditionen für unerlässlich erachten, sucht man hier vergebens. Mit einem Hilfesuchenden tut Sanderson, kurz gesagt, nichts weiter, als ihn ruhigzustellen - tiefstmöglich. Dazu fordert er ihn zunächst auf, es sich rücklings auf einer Liege bequem zu machen. Dann tritt der Heiler hinter ihn. Sanft legt er seine Hände auf die Schultern des Klienten, ab und zu auch auf Nacken und Kopf - und ehe sich der so "Behandelte" versieht, ist er entspannt. Eine eigens komponierte Mind Music,
bei der monoton ein "A-A-A" mehrere Terzen und Quarten hoch und wieder herunter gesungen wird, fesselt seine Aufmerksamkeit, seine Atmung verlangsamt sich, sein Körper wird warm, und seine Gedanken "hören auf, wie ein verrückter Affe herumzuhüpfen” - eine Form des inneren Chaos, dem Sanderson zuallererst beizukommen versucht.
Was passiert in diesem Zustand? "Forschungen in der Psychoneuroimmunologie zeigen", so erläutert Sanderson, "dass der Körper
weitaus empfänglicher für mentale Einflüsse oder Gedanken ist als bisher angenommen. Über jeglichen biologischen Prozess kann willentliche Kontrolle ausgeübt werden. Wenn Stress abgebaut wird und sich vollkommene Entspannung einstellt, kann der Verstand selbstregulierende, selbstheilende und selbstregenerierende Kräfte freisetzen. Der Körper hat somit die Freiheit, sein Gleichgewicht und dadurch seine Gesundheit wiederherzustellen."
Was ist es, das im Ruhezustand solche
Selbstheilungsprozesse in Gang setzt? Wie die meisten Heiler, so glaubt auch Sanderson an eine "Lebenskraft", die wirken kann, "wenn der ständig schnatternde Geist sie nicht mehr stört; wenn Zweifel sich auflösen, wenn wir zur Ruhe gekommen sind und uns sicher fühlen". Dann kann "deine Energie, oder Qi, sanft dorthin fließen, wo sie gebraucht wird". Ein Heiler, der konsequent darauf setzt, hört auf zu agieren; er "wendet" nichts "an"; er
"zielt" auf nichts ab, auf kein Symptom, keine Krankheitsursache, auf nichts an oder in seinem Klienten. Letztlich erschöpft sich sein Beitrag zur Heilung darin, Bedingungen zu schaffen, unter denen der Klient ganz zur Ruhe kommt, sich völlig beschützt und geborgen fühlt - und deshalb alles zulassen (state of allowing) kann, was mit und in ihm geschieht. Was tut Sanderson dabei? "Ich entspanne mich, höre auf, ein ‚Anwender' zu sein, und werde einfach zum
Teilnehmer", der "in einem "ansteckenden" Zustand innerer Ruhe" verweilt - "ansteckend" (contagious) für seinen Klienten. Der Heiler "erwartet nichts, weist nichts zurück, will nichts, erhofft nichts. Weder ‚überträgt' noch ‚empfängt' er. Er ist schlicht präsent", um seine meditative Geisteshaltung weiterzugeben. Der Rest geschieht wie von selbst, ohne sein Zutun. “Das Universum bedarf nicht meines Beistands. Die Rolle des
Heilers", so bringt Sanderson seinen Ansatz prosaisch auf den Punkt, "besteht darin, den Geist in jenen Augenblick der Stille zu geleiten, in dem Wunder möglich sind."
Geistheilung durch Einswerden im “universellen Seinsfeld”
Wie lässt sich eine Geisteshaltung "weitergeben"? Hier führt Sanderson ein Konzept ein, das in Theorien Geistigen Heilens eine zunehmend wichtigere
Rolle spielt: das Feld. Nach seiner Überzeugung existiert ein "universelles Seinsfeld" (field of existence), das "keine Grenzen hat" und "sich im ganzen Universum entfaltet. Es formt die Galaxie und gleichzeitig das kleinste Energieteilchen. Es verbindet uns, über unsere Eindrücke des Voneinander-Getrenntseins hinweg, aufs engste miteinander, "beatmet unser Leben", "durchdringt unsere Gedanken und unsere Körper". Insbesondere
verbindet es auch einen Heiler mit seinem Patienten, gleichgültig wieviele Kilometer zwischen ihnen liegen. So werden Fernheilungen möglich: Der Heiler, der selbst innerlich ganz zur Ruhe kommt, kann durchaus, vermittelt durch das "Seinsfeld", über beliebige Distanzen "ansteckend" wirken - und damit dasselbe auslösen wie aus nächster Nähe. Denn innerhalb dieses Felds "gibt es keine Distanz zwischen meinem ‚Selbst' und irgendeinem anderen ‚Selbst". Wegen der
Schlüsselrolle dieses Felds nennt Sanderson seine Vorgehensweise Deep Field Relaxation.
Wie kam Sanderson dazu? Als er aus der Film- und Werbebranche ausstieg, um mit dem Heilen zu beginnen, "wurde mir beigebracht, dass es dabei auf die Übertragung von Heilenergie ankommt", so berichtete er mir. “An dieser Vorstellung festzuhalten, fiel mir zunehmend schwerer, als ich anderen Kulturen begegnete. In Sibirien beispielsweise herrschen völlig andere Auffassungen
darüber vor, warum jemand krank wird, als in Polynesien. Und wenn ich mit einem tibetischen Lama arbeite, treffe ich auf ganz andere Bedürfnisse als bei einem Brasilianer. Angesichts dieser mannigfachen Erwartungen hätte ich mich weiterhin an meine früheren Einstellungen klammern und meine Patienten zwingen können, sich meine Ideen zu eigen zu machen. Aber ich wollte in jeder Situation, innerhalb jeder Kultur effektiv arbeiten. Deshalb musste ich mich von herkömmlichen Dogmen und festgelegten
Ritualen verabschieden. Und das machte mich frei. Ich war erlöst von strenger Methodik, und den Nutzen konnte ich bei meinen Patienten, aber auch ihren Ärzten und anderen Therapeuten unmittelbar miterleben." Seine Vorgehensweise "spirituell" zu nennen, widerstrebt Sanderson: "Der Begriff der ‚Spiritualität' ist in jüngster Zeit derart deformiert und verzerrt worden, insbesondere von der New Age-Bewegung", dass ihm eher davor graut, damit in Verbindung gebracht zu
werden.
Nachdem ich über dieses sonderbare Heilungskonzept geschlafen hatte, schickte ich Sanderson frühmorgens ein eMail und berichtete ihm von einer unruhigen Nacht: "Zuerst tauchte vor mir die astrale Erscheinung eines Chakra-Therapeuten auf und flüsterte in mein astrales Ohr: ‚Clif hat die Chakren vergessen! Es ist ausgeschlossen, dass ein bloßer Zustand völliger innerer Ruhe ausreicht, um Qi, die Lebenskraft, dorthin fließen zu lassen, wo immer sie benötigt wird. Vor allem bei chronisch Kranken ist die Funktion der Chakren nachhaltig gestört. Deshalb müsste Clif sie zuallererst wieder in Ordnung bringen, bevor wahre Heilung überhaupt beginnen kann. Und das bedeutet: Auch Clif käme nicht darum, etwas zu tun, d.h. seine Patienten energetisch zu manipulieren.' Gleich darauf erschien eine zweite nebulöse Gestalt an meinem Bett, mit der Warnung: ‚Die meisten Patienten werden von negativen Energien belastet, die den Qi-Fluss behindern und es ihnen unmöglich machen, das zu empfangen, was der Heiler ihnen zu vermitteln versucht. Deshalb müsste Clif seine Klienten zuallererst energetisch reinigen.' Neben Rhea tauchte plötzlich Master Choa Kok Sui auf: ‚Ich werde Clif einen Einführungskurs in Prana-Heilen anbieten. Dort wird er lernen, wie man schlechte, verbrauchte oder überschüssige Energie in einen Eimer mit Salzwasser entsorgen kann. Erst danach macht es Sinn, neues Prana ins Spiel zu bringen.' Kurz darauf überbrachte der Geist von Mikao Usui diese Botschaft: ‚Hat Clif noch nie von den mächtigen Reiki-Symbolen gehört? Erst sie verschaffen dem Heiler Zugang zu einigen der wichtigsten Aspekte der universellen Energie.' Wie, so fragte ich Sanderson, würde er diese Geister exorzieren?
Noch am selben Tag traf seine bezeichnende Antwort ein: "All die verlockenden Symbole, obskuren Philosophien und Verlautbarungen zweifelhafter ‚Meister'", so
befand er unumwunden, "sind nichts weiter als Erzeugnisse unserer eigenen Ängste und Unsicherheiten." Der Heiler, der sich an bestimmte Rituale klammert, demonstriert damit nur, dass er nicht fähig ist zu vertrauen - dass er nicht sorglos geschehen lassen kann.”
"Sobald ein Klient mit dem ‚universellen Seinsfeld' verbunden ist - beginnt der Heilprozess dann von alleine, oder musst du zusätzlich eine Intention ins Feld geben, als notwendigen Induktor?",
will ich von Sanderson wissen. Ja, eine Intention komme hinzu, antwortet er - allerdings keine, die auf irgendein spezifisches Ergebnis aus ist. Sie besteht in nichts weiter als der "Absicht, einem Mitmenschen zu Diensten zu sein (to be of service)" - was auch immer ihm letzlich am ehesten dienen mag. Diese Geisteshaltung ähnelt den "ungerichteten" Fürbitten christlicher Glaubensheiler ("Dein Wille geschehe"), aber auch dem "Z.B.D.G."-Motto ("Zum Besten des Ganzen") mancher Radioniker.
"Meinst du denn", frage ich weiter, "du wärst weniger erfolgreich, wenn du,
vermittelt über das ‚Feld', spezifische Heilintentionen übertragen würdest?" - "Sobald ich das versuche", sagt Sanderson, "bemerke ich rasch, dass die Resultate dürftiger ausfallen. Lasse ich es, so stellen sich rasch unerwartete Ergebnisse ein."
"Wenn ich dich recht verstehe", so fahre ich fort, "besteht deine Rolle als Heiler in nichts weiter als darin, einen Klienten wahrhaft ‚still' zu machen. Ist es nicht genau dieser Zustand, den
altehrwürdige Meditationstechniken aus dem Fernen Osten zu fördern versuchen? Aber wieso werden dann selbst die geübtesten Meditierer krank - und brauchen Heiler?"
Da wirkt auch Sanderson ratlos. "Weiß ich nicht. Ich habe mit einigen der eindrucksvollsten tibetischen Lamas gearbeitet - und auch sie an Krebs und anderen Leiden sterben sehen. Wenn du Esoteriker fragst, hörst du, dass Krankheit anders gesehen werden muss als üblich, nämlich als Gelegenheit zum Lernen; oder als
gesellschaftlich akzeptable Weise, Selbstmord zu begehen; als weit fortgeschrittene Weise, ‚hinüberzugehen'. Oft wird dir auch zu bedenken gegeben, dass Heiler Kranken um so besser helfen können, je mehr sie Krankheit am eigenen Leib erfahren haben, wodurch sie die Angst und Verwirrung ihrer Patienten erst wirklich nachvollziehen können." Sanderson selbst hat eine andere Vermutung: "Meditierend völlige Stille zu erreichen, erfordert jahrelange Übung, und nicht einmal sie
garantiert, dass dieser Punkt jemals erreicht wird. Denn sobald ein Meditierer bemüht ist, seinen Geist zu ‚leeren', arbeitet er damit womöglich gegen seine eigenen natürlichen Bedürfnisse zu diesem Zeitpunkt. Deshalb versuche ich meinen Schülern beizubringen, wie sie einen Raum schaffen können, der frei von jeglichem Widerstand und Ego-Focus ist. Ich ‚versuche' nicht, Stille zu schaffen - in diesem Augenblick bin ich Stille. Ohne Tricks, ohne Rituale, ohne
Kerzen!" Kann Sanderson medizinisch dokumentierte Einzelfälle nennen, in denen er Patienten auch auf Distanz helfen konnte? "In den vergangenen zwanzig Jahren", erklärt er, "habe ich schätzungsweise alle zwei bis drei Wochen mit mindestens einem Krebs-, Asthma-, Schmerzpatienten oder Depressiven zu tun gehabt, dem ich helfen konnte. Gewöhnlich erkundige ich mich bei Anrufern aber nicht nach genauen medizinischen Einzelheiten, schließlich bin ich kein
Arzt. Später höre ich dann oft, dass der Behandelte mit dem Ergebnis zufrieden ist, bekomme aber kaum je präzisere Berichte." Zwei Ausnahmen, die Sanderson näher schildert, hätten allerdings gründliche Nachforschungen verdient.
Der eine Fall trug sich in Australien zu, als Sanderson zeitweilig in Melbourne lebte. Aus einem Kreißsaal in Queensland, mehrere tausend Kilometer entfernt, erreichte ihn in seiner Wohnung ein verzweifelter Hilferuf per Telefon: Eine Hochschwangere lag
seit vierzehn Stunden in den Wehen, sie und ihr Kind schwebten inzwischen in Lebensgefahr. Weshalb kein Kaiserschnitt durchgeführt wurde, blieb unklar. Während des fünf- bis sechsminütigen Telefonats versetzte sich Sanderson in jenen sonderbaren Bewusstseinszustand der "stillen" Intention, "von Nutzen" zu sein. Kaum war das Gespräch beendet, da widmete er sich wieder seinem Sohn, mit dem er gerade Holzmöbel bastelte. Keine zehn Minuten später klingelte das Telefon erneut:
Wenige Sekunden nach dem ersten Anruf habe die Frau entbunden werden können, sie und ihr Baby sein wohlauf.
An ein zufälliges zeitliches Zusammentreffen zu glauben, fällt in diesem Fall leichter als in einem zweiten, der in den Norden Hollands führt. Dort lebt Peter, ein Rundfunk-Diskjockey, der Magenkrebs litt - in einem derart fortgeschrittenen Stadium, dass ihm der gesamte Magen operativ entfernt werden musste. Daraufhin verfiel er in tiefe Depression, war für niemanden mehr
ansprechbar, kapselte sich selbst von seiner Frau und seiner Tochter ab. Ohne sein Wissen wandte sich ein Freund an Sanderson, der sich gerade in Amsterdam aufhielt. Immerhin ließ sich Peter zu drei Fernheilsitzungen per Telefon bewegen. "Nach dem dritten Termin", versichert Sanderson, "berichtete mir Peter, dass die Ärzte seine Medikamente nahezu vollständig absetzen konnten, weil sein Körper plötzlich wieder irgendwie imstande war, die zur Verdauung nötige Gallenflüssigkeit
selbst zu produzieren - so als hätte ein neuer Magen diese Aufgabe übernommen." Mit diesem Tag setzte bei Peter auch eine dramatische psychische Verwandlung ein: Lebensfreude und Interesse kehrten zurück.
Als Bewährungsprobe für seinen Ansatz wählte Sanderson eine der wohl größten Herausforderungen, denen sich ein Heiler stellen kann: Sieben Jahre lang kümmerte er sich in der Tschernobyl-Region um radioaktiv Verstrahlte. Was er dabei erreichte, nötigte mehreren Chefärzten von
Kliniken und selbst Vertretern des russischen Gesundheitsministeriums höchstes Lob ab. Für seine Verdienste wurde ihm 1992 der Albert-Schweitzer-Preis für Humanitäre Dienste in der Medizin verliehen. Bis die Kunde davon Westeuropa erreicht, ist es nur eine Frage der Zeit.
Ein "Wunderheiler" ist indes auch Sanderson nicht, wollte es niemals sein. Zwei Jahre nach der telefonischen "Fernheilung" starb Peter, der ehemalige Magenkrebspatient. Aber er tat es wohl mit
einem Lächeln auf den Lippen. Und die Stille, in die er mit seinem letzten Atemzug fiel, war zumindest für ihn kein leeres, kaltes Nichts mehr.
Quellenangaben und weitere Literaturhinweise in Fernheilen, Band 1. |