Manchmal beschränken sich Heilkundige «von drüben» allerdings nicht bloß auf gelegentliche Empfehlungen und Belehrungen - sie gehen eine feste, oft jahre- und
jahrzehntelange Verbindung mit einem Medium ein, um diesseits durch es therapeutisch zu wirken. Eine beachtliche Minderheit von Geistheilern beruft sich auf konkrete jenseitige Helfer, die anscheinend wie menschliche Psychen überlegen, entscheiden und handeln können, indem sie sich des Heilers als eines lebenden Instruments bedienen. Häufig werden sie als verstorbene Ärzte identifiziert, die ihr überlegenes, womöglich im Jenseits vervollkommnetes Wissen weitergeben möchten.
Manche
Heiler wollen, bei vollem Bewusstsein, von solchen «Geistführern» bloß hin und wieder Eingebungen, Hinweise, Warnungen, Ratschläge erhalten, die sie meist als innere Stimme erleben, manchmal auch über automatisches Schreiben oder durch sonstige spiritistische Praktiken. Andere hingegen fühlen sich auch während ihrer Behandlungen regelrecht «geführt»; zum Teil scheinen sie sich zeitweilig in willenlose Werkzeuge einer überlegenen, körperlosen Intelligenz zu verwandeln.
Sie folgen dem
«Vater» des modernen Geistheilers, dem Engländer Harry Edwards, der bei Shere, hundert Kilometer südwestlich von London, lebte. Im Ersten Weltkrieg, als Militärberater und Ausbilder in Persien eingesetzt, hatte der gelernte Schriftsetzer an sich paranormale Heilkräfte entdeckt, mit denen er verwundeten oder erkrankten Soldaten helfen konnte. Einen Beruf daraus machte der Geschäftsmann allerdings erst 1935, nachdem ein tuberkulosekranker Freund von einem Tag zum anderen genas, als Edwards ihm
aus der Ferne «Heilenergien» ins Krankenhaus sandte. Seither half Edwards nachweislich Zehntausenden: nicht nur in Privatsitzungen, auch auf spektakulären Massenveranstaltungen mit bis zu 7000 Menschen und mittels Fernheilungen, manchmal über Tausende von Kilometern hinweg. Besonders erfolgreich war Edwards bei rheumatischen Erkrankungen, Lähmungen, Blindheit und Taubheit, Verletzungen des Rückgrats und Knochenleiden ganz allgemein. Dabei berief sich Edwards auf mehrere jenseitige Helfer: vor
allem auf den berühmten französischen Chemiker und Mikrobiologen Louis Pasteur (1822-1895) sowie den ebenfalls bedeutenden englischen Chirurgen Joseph Lister (1827-1912), der an Pasteur anknüpfend die antiseptische Wundbehandlung begründet hat. In Edwards' Nachfolge sehen sich heute zwei der prominentesten Geistheiler Großbritanniens mit Totengeistern im Bund: David Drew und Barrie Redington. Der 39jährige David Drew wähnt sich vom Geist des großen elsässischen Arztes, Theologen und
Friedensnobelpreisträgers Albert Schweitzer geleitet, der 1965 im Alter von 9o Jahren starb. Mediale Begabungen zeigten sich bei Drew, der 1955 in Colwyn Bay, Wales, geboren wurde, erstmals in der Pubertät; schon als Vierzehnjähriger stellte er sie in der Spiritistengemeinde der nahegelegenen Stadt Smethwick unter Beweis. Zwar begann er eine Lehre als Metzgergeselle, doch als immer mehr Hilfesuchende ihn in Anspruch nahmen, brach er seine Ausbildung ab - und wurde professioneller
Geistheiler. «Von Anfang an arbeitete ich mit einer Gruppe von Ärzten aus der spirituellen Welt zusammen», erklärt Drew, der nach einer Zwischenstation in Blackpool heute in Kirkham, Grafschaft Lancastershire, lebt. Anfang 1988 sei zu dieser jenseitigen Gruppe ein weiterer geistiger Führer gestoßen, der sich ihm als «Albert Schweitzer» vorgestellt habe - ein Name, mit dem der ungebildete Drew «zunächst gar nichts anfangen konnte». Ernster nahm er die Eingebung erst, als ihn nach einem
öffentlichen Auftritt im Seebad Lytham, im Juli 1988, eine Frau aus dem Publikum ansprach, die sich ihm als «hellsichtig» vorstellte: «Ich habe Albert Schweitzer neben Ihnen auf der Bühne stehen sehen! » Verblüfft ließ sich Drew von seinem prominenten «Geisthelfer» zu Madame Tussauds Wachsfigurenkabinett in Blackpool schicken, wo eine lebensgroße Nachbildung Albert Schweitzers steht. «Dort wirst du auf einer Gedenktafel ein falsches Todesjahr für mich angegeben finden: 1969», so hörte Drew
die innere Stimme sprechen. «In Wahrheit starb ich 1965.» Er sah nach und fand das falsche Datum. «Schweitzer leitet mich auf andere weise als meine übrigen Geistführer», erläutert Drew. «Er will, daß ich in einen tranceähnlichen Zustand versinke, in dem ich seine Stimme hören und meinen Körper unter seine Kontrolle bringen kann.» während seiner geist-chir¬urgischen Eingriffe sind meist seltsame Klackgeräusche zu hören. «Dazu kommt es, wenn ich die unsichtbaren spirituellen
Operationsgeräte einsetze», erklärte «Schweitzer» seinem Medium. Im Verlauf von Drews Heilsitzungen versuche «Schweitzer» auch immer wieder seine Identität unter Beweis zu stellen. Einer Freundin der englischen Journalistin Maureen Messent etwa, die zu erblinden drohte, rettete «Schweitzer» Anfang 1989 das Augenlicht, indem er Drew Augenflüssigkeit drainieren (ableiten) ließ. Als die Behandlung zu Ende war, verabschiedete «Schweitzer» die verblüffte Patientin mit einem «herzlichen Glückwunsch
zum Geburtstag am 14. Januar», ein paar Tage später. An diesem Datum war aber nicht etwa die Geheilte zur Welt gekommen - sondern der historische Albert Schweitzer selbst.
In London, Edinburgh, Liverpool und Goosnargh hat Drew inzwischen Zentren für geistiges Heilen gegründet. Ob Tumorerkrankungen und Leukämie oder multiple Sklerose, Arthritis oder andere rheumatische Erkrankungen -- selbst an schwerste, gemeinhin als unheilbar geltende Krankheiten wagt er sich mit «Schweitzers» Hilfe
heran. Auf Touren nach Skandinavien, Italien und Israel erregte er beträchtliches Aufsehen. Seit Mitte der siebziger Jahre demonstriert er vor manchmal mehr als 500 Menschen eine erstaunliche Vielfalt von paranormalen Fähigkeiten. Dabei sind ihm Publikumsvorführungen eigentlich eher zuwider: «worum es dabei geht, gehört nicht ins öffentliche Rampenlicht -- es ist etwas sehr Privates.» Im übrigen teilt er eine Einstellung, die Albert Schweitzer schon zu Lebzeiten immer wieder kundtat und aus
Drews Mund mehrfach wiederholte: «Nicht ich bin wichtig, sondern mein Werk.»
Allein mit Handauflegen erzielt der Geistheiler Barrie Redington aus London herausragende Erfolge. Bemerkenswerte Einzelfälle haben ihn inzwischen zu einem der bekanntesten Heiler Großbritanniens werden lassen. Von seinen Fähigkeiten haben bisher, aus unerfindlichen Gründen, auffallend viele Patienten mit Augenleiden profitiert: Wie fachärztliche Gutachten teilweise bestätigen, kam Redington schon mehrfach
Glaukomen (grüner Star) bei; half er einer an multipler Sklerose Erkrankten, die alles doppelt sah; wendete er buchstäblich in letzter Minute eine Operation bei einem sehgestörten Säugling ab, bei dem Ärzte eine Geschwulst hinter dem Augenlid festgestellt hatten. Aber auch bei chronischen Schmerzen, Neuralgien und Asthma scheint der selbstsichere Heiler mit dem schütteren, schulterlangen Haar und dem altmodischen Backenbart mehr erreicht zu haben als Ärzte und Fachkliniken vor ihm, wie
Aussagen dankbarer Patienten vermuten lassen. Einer 45jährigen Londonerin mit einem Knoten in der Brust, aus der wegen Tumorverdachts in Kürze eine Gewebeprobe entnommen werden sollte, wurde zunächst «leicht übel», als Redington sie zu behandeln begann. Kaum nach Hause zurückgekehrt, musste sie sich übergeben - und würgte dabei, wie sie beteuert, «einen widerlichen, schwärzlich-rotbraunen Gewebeklumpen von der Größe eines Golfballs» heraus. Erschöpft schlief sie daraufhin ein. Als sie
aufwachte, tastete sie sofort nach dem Knoten in ihrer Brust - er war verschwunden. Auch der Aids-infizierte Andrew Wilson aus Willesden Green im Nordwesten Londons schwört auf Redington. «Bei mir ist Aids seit Jahren voll ausgebrochen», erzählt der 33jährige. «i99o bereiteten mich die Ärzte darauf vor, dass mir höchstens noch anderthalb Jahre bleiben würden.» Seit er zwei- bis dreimal wöchentlich Redington aufsucht, fühlt er sich «unfassbar wohler». Zwar zeigen Bluttests, daß Andrew das
HIV-Virus nach wie vor in sich trägt; doch die meisten Begleitsymptome haben sich erheblich gebessert. Früher sei er vor Erschöpfung und Depression morgens kaum aus dem Bett gekommen, der kleinste Handgriff habe ihn «entsetzlich angestrengt». Heute fühlt er sich derart «energiegeladen», dass er «fünfzehn Stunden pro Tag, sechs Tage pro Woche und zehn Stunden am Sonntag arbeiten kann», schwärmt er.
Es war Ende der achtziger Jahre, als Redington, damals Kleinhändler auf Wochenmärkten,
seine Berufung zum Heiler entdeckte, und das auf seltsamem Umweg. Mitte Zwanzig zog er sich bei einem Autounfall schwere Kopfverletzungen zu. Von da an litt er jahrelang an höllischen Schmerzen und extremen Stimmungsschwankungen, obwohl er aus ärztlicher Sicht völlig genesen war. Zufällig begegnete er einem spiritistischen Medium, das ihm die angebliche Geisterbotschaft übermittelte: «Deine anhaltenden Schmerzen rühren von einem Überschuss an Energien her, die durch dich fließen und außer
Kontrolle sind.» So verdutzt und ungläubig Redington diesen obskuren Befund damals auch aufnahm: Immerhin erlebte er seit seinem Unfall beinahe täglich, wie sich diese «Energie» in sonderbaren Spukvorgängen entlud, nicht nur in seiner Wohnung, auch in der Öffentlichkeit. Wenn er und seine Frau Susan in Restaurants essen gingen, kam es ein ums andere Mal vor, dass sich Messer und Gabeln wie Weichgummi verbogen, kaum dass er sie angefasst hatte. «Susan war die Sache jedesmal so peinlich, dass
sie das Besteck immer erst sorgfältig gerade bog, ehe wir zahlten und gingen.» Als sich Redington zum Geistheiler ausbilden ließ «und dabei lernte, diese Energie richtig zu kanalisieren», hörten die unheimlichen Vorgänge schlagartig auf. Ebenso augenblicklich verschwanden Redingtons Beschwerden.
Seit er zu heilen begann, fühlt sich Redington von zwei Totengeistern aus dem Jenseits geführt. Der eine, so berichtet Redington, habe sich ihm als ein gewisser «Dr. Jones » vorgestellt,
angeblich ein 1904 verstorbener walisischer Chirurg; der andere nenne sich «Dr. Lahmann» und will ein «deutscher Arzt aus Heidelberg» gewesen sein. Mehr wusste Redington zunächst nicht, mit beiden Namen konnte er nicht das geringste anfangen. Doch der britische Parapsychologe Ronald Russell, Leiter einer «Parapsychologischen Forschungsgruppe» in Enfield, stellte Nachforschungen an. Er schrieb die Heidelberger Universitätsverwaltung an - und erhielt kurz darauf ein von Elke Wogast, Professor
für Neuere Geschichte, unterzeichnetes Schreiben, das die Identität «Lahmanns» bestätigte. Tatsächlich hatten zwei Männer dieses Namens in Heidelberg studiert, beides Söhne eines wohlhabenden Bremer Kaufmanns. Der eine, Friedrich, hatte sich im April 188o für Psychologie eingeschrieben; der andere, der am 30. März 186o geborene Heinrich Lahmann, hatte ein anderswo begonnenes Medizinstudium im April 1883 an der Medizinischen Fakultät der Universität Heidelberg fortgesetzt und im Juli 1884
erfolgreich abgeschlossen. Wie Russell weiter ermittelte, hatte Lahmann zunächst eine Laufbahn als polytechnischer Ingenieur in Hannover eingeschlagen. Nach Abschluss seines Heidelberger Studiums ließ er sich 1886 als praktizierender Arzt nieder. zwei Jahre später eröffnete er auf Schloss Lossnitz in Dresden-Radebeul eine eigene Naturheilklinik mit Sanatorium, den «Weißen Hirsch». Lahmann gilt als Pionier der Naturheilkunde; ihm werden bahnbrechende Arbeiten über Diätetik, Vitamine und
Mineralien, Hydrotherapie, Homöopathie, Reflexologie und die therapeutische Anwendung des Elektromagnetismus zugeschrieben. Lahmann starb am i. Juni 1905.
Der Parapsychologe war sprachlos, Redington sah sich bestätigt. Im nachhinein konnte er nun viele merkwürdige Erlebnisse seiner Patienten einordnen: Manche fühlten sich wie mit unsichtbarem chirurgischem Besteck «operiert», selbst wenn Redingtons Hände sie nicht einmal berührten; oder sie spürten geisterhafte «Einstiche», wie von
Injektionsnadeln, gefolgt vom «Hineinspritzen einer Flüssigkeit». Ein von Russell befragter Patient will hinter Redington einmal für kurze Zeit eine gespenstische männliche Gestalt wahrgenommen haben. Als Russell ihm später, zur Probe, mehrere Fotos vorlegte, griff er ohne Zögern dasjenige heraus, auf dem er die Erscheinung wiederzuerkennen glaubte: es war ein Porträt Lahmanns.
Auf dem europäischen Festland hingegen macht sich medizinischer Beistand aus dem «Jenseits» vorläufig rar -
wohl kaum wegen einer sonderbaren Vorliebe von «Führungsgeistern» für die britische Insel, sondern hauptsächlich aufgrund einer Rechtslage, die Heiler nahezu überall in den esoterischen Untergrund drängt, von wo kaum etwas an die Öffentlichkeit dringt. So sind nur wenige Ausnahmen bekannt geworden: unter ihnen Francois M. aus dem Elsass und Helga A. aus dem Hochsauerland. |